Alle Farben Bachs

Isabelle Demers ließ die Eule-Orgel im Kulturpalast funkeln

Wenn man ein Programm, zumal für einen Orgelabend, mit »B-A-C-H« übertitelt, weckt das Erwartungen, heißt aber fast noch nichts, denn die vier Buchstaben bzw. Bezüge zum Thomaskantor lassen sich vielfältig auslegen. Im Rahmen ihres Rezitals beim Dresdner Orgelzyklus führte die kanadische Organistin Isabelle Demers auf gezielten Pfaden zu und um Bach und ließ – trotz der hier üblichen Farbspielereien auf der Bühne – eine selten erlebte Spannung aufkommen. Während es in Kirchen üblich ist, erst am Ende des Konzerts zu applaudieren, gibt es im Dresdner Kulturpalast normalerweise nach jedem Stück, wenn man Pech hat nach jedem Satz Beifall. Doch am Mittwoch war das Publikum so gebannt, daß es nach Bachs Triosonate die Stille der Stimmung nicht unterbrach.

Spannendes Damen-Gespann: Isabelle Demers (links, Photo: © Abi Poe) und Rachel Laurin (Bildquelle: Wikimedia commons)

Dabei hätte man sich zunächst fragen können, ob ein so »kleines« Werk wie die Triosonate G-Dur von Johann Sebastian Bach denn auf so eine große Orgel paßt. Schließlich sind die drei Stimmen sehr filigran ausgeführt, entsprechen im Gestus eher der einzelnen Besetzung durch Violine oder Oboe, Violoncello und Cembalo. Doch die Organistin hatte mild schimmernde Register gewählt und ließ auch dynamisch eher an leichte Dämpfung denn an den grellen Glanz brillanter Virtuosität denken. Auf diese Weise konnten sich die Stimmen der Triosonate wunderbar entfalten und waren bis zum Pedalbaß sehr schön nachzuvollziehen. Daß dieser Bach zudem unterhaltsam war und leicht, unterstrich den luftige Klangzauber, den Isabelle Demers mit flinken Händen und Füßen entfachte. Am Ende des Abends durfte Johann Sebastian mit einer Choralbearbeitung schließlich das letzte Wort haben und seinen Applaus einfordern.

Nach dem bekömmlichen Einstieg und der Ruhepause, die anzeigte, daß Isabelle Demers ihr Publikum »gepackt« hatte, waren die »Sweelinck-Variationen« von Rachel Laurin eine großartige Entdeckung. Zunächst offenbarten sie die Renaissanceklänge der Eule-Orgel, die in Trompeten und anderen Registern stecken und sich vorzüglich für eine musikalische Zeitreise eigneten. Doch die 2023 verstorbene Komponistin reiste in ihren Variationen nicht nur zurück ins 16. Jahrhundert zu Jan Pieterszoon Sweelinck, sondern nahm seine Musik mit durch die Zeit, führte sie feingliedrig vor wie in Bachs Vivace- und Allegro-Sätzen, ließ sie expressive Gestalt annehmen (dritte Variation), wie ein Nocturne von Satie scheinen (vierte), über Debussy in die Moderne schweifen und in einer Fuge mit Nachspiel gipfeln. Ein ungemein beeindruckendes Werk, das noch mehr unter dem Namen der Komponistin ahnen läßt. Einzig der Nachhall, wie man ihn in der Kirche kennt, fehlte natürlich im Konzertsaal, was Isabelle Demers mit langem Ausklang aber kompensierte.

Phantasie und ungewohnte Freizügigkeit fand sie ebenso beim manchmal so gestrengen Max Reger, der gleich mehrfach über B-A-C-H phantasiert und komponiert hatte. Sein Opus 46 setzte der Feingliedrigkeit und Luftigkeit manches Satzes zuvor eine fast skulpturale Monumentalität entgegen. Die Organistin bewies dennoch Maß und zeichnete mit einem klar konturierten Piano auch feine Linien nach – Gestaltung war ihr wichtiger als herausgestellte Virtuosität. Manchmal kann man ein Klangvolumen zum Beispiel anreichern und Akzente setzen, indem der Baß sanft hinzutritt – nicht alles muß schneller werden oder braucht eine Steigerung ins Crescendo.

Der Länge der Stücke nach, konnte man im Programmheft schon lesen, wäre der Orgelabend nur etwa eine dreiviertel Stunde lang. Das ließ vermuten, daß Isabelle Demers sich vorab bereits für eine umfangreiche Zugabe entschieden hatte – so sie denn gewünscht würde. Sie wurde. Und so gab es noch vor Bachs Schlußpunkt in der ersten Zugabe eine weitere Entdeckung, wiewohl bekannt, so aber kaum einmal erlebt: die berühmten Paganini-Variationen hat David Garret (mit Schlagzeug-Begleitung!) populär gemacht, Klaviervirtuosen (Fassung von Johannes Brahms) wie Anatol Ugorski spielten sie auf dem Flügel. Sir George Thalben-Ball hat sie für die Orgel eingerichtet und vor allem das Pedalspiel hervorgehoben. Und dieses konnte man im Kulturpalast, mit dem Spieltisch auf der Bühne, incl. Glissando der Füße (!) besonders gut bestaunen.

17. April 2025, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Mittwoch spielt Tjark Pinne (Oslo) in der Kreuzkirche und hat mit der Ouvertüre zu Johann Strauss‘ »Die Fledermaus« mindestens eine Überraschung dabei. https://kreuzkirche-dresden.de/

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