Nach Gohrisch

Der vierte Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle fand in Kooperation mit den Internationalen Schostakowitsch Tagen Gohrisch statt. Die sechsten Schostakowitsch Tage waren es bereits und sogar die zweiten in dieser Saison, denn mit diesem Jahr wurde der Juni als neuer Termin (statt des Septembers) eingeführt. Sozusagen als »Nachklang« war die Sonntagsmatinée aus Gohrisch im Aufführungsabend am Montag noch einmal wiederholt worden.

Zwei unterschiedliche Werke Dmitri Schostakowitsch waren hier zu erleben: Ausschnitte aus der Filmmusik zu »Das neue Babylon«, eine frühe Komposition des gerade einmal zweiundzwanzigjährigen, sowie seine Vertonung der sechs Zwetajewa-Gedichte op. 143a, ein Spätwerk, 1973 entstanden. Mit Vladimir Jurowski war ein Dirigent nach Dresden (und Gohrisch) zurückgekehrt, der nicht nur Dmitri Schostakowitsch, sondern (trotz seiner noch jungen Jahre) auch der Kapelle bereits eng verbunden ist. Und er hat »es« – vom Vater, vom (zum Teil in Dresden absolvierten) Studium, von Schostakowitsch. Vladimir Jurowski ist schon jetzt ein Dirigent, der Musik nicht einfach abspielen läßt, sondern für die Idee dahinter steht, der sie auch vermitteln kann. So trat er zunächst vors Publikum, um eine Korrektur der Programmfolge zu erklären. Nicht im zweiten Teil, zwischen Kompositionen Arvo Pärts, sollte Benjamin Brittens »Russian Funeral« erklingen, sondern noch vor der Pause, gleich nach Schostakowitschs Filmmusik. Warum? Weil sich die Werke im Gestus gleichen, das eine dort fortsetzt, wo das erste aufhörte, weil beide mit (gleichen) Zitaten spielen, sie persiflieren und konterkarieren, weil so viele Bezüge bestehen zwischen den beiden Komponisten der damals verfeindeten Lager. Solitäre waren sie auch, nicht nur »zu Hause«.

Eigentlich war es eine »Gebrauchsmusik«, die Dmitri Schostakowitsch geschrieben hatte. Doch nicht nur reizvoll, auch anspruchsvoll. Zu anspruchsvoll war sie wohl für die Filmorchester, für die sie geschrieben worden ist. So hat die Musik für »Das neue Babylon« vor allem außerhalb des Kinosaales Anerkennung und Würdigung erfahren – wie in der Semperoper. Eine wilde Hatz, eine Einkaufsjagd anno 1871 (dem Zeitpunkt der Filmhandlung), in die Schostakowitsch jede Menge Pariser Flair gepackt hat. In kleiner, aber vielfältiger Besetzung blieb die Staatskapelle unter Vladimir Jurowski jedoch weit davon entfernt, »wild« zu werden. Gerade die künstlich aufgesetzte Jagd verlangte nach einem Höchstmaß an Präzision, wenn Bläser und Schlagwerk beständig Soli trillerten oder hämmerten und die Streicher antrieben. Und zumeist fröhlich klingen mußte es auch noch – da konnte man (wieder einmal) nur staunen. Ruhig und uneitel, undramatisch wirkten da die Gesten Jurowskis, beschwor er den Geist der Musik – fabelhaft! Brittens »Russian Funeral« – jetzt ohne Streicher – schien dies fortzuführen, jedoch noch weiter zu übersteigern und ins Groteske zu verzerren.

Wie anders sind da die Klänge des Esten Arvo Pärt. Schon sein »Arbos« (1977 entstanden, danach mehrfach überarbeitet) atmet bereits die für Pärt typischen Glockenmotive, das »Tintinnabuli« seiner Kompositionen, erinnern aber auch an prachtvolle Bläserchöre, an Bach und Fugen. Im Gegensatz dazu ist »These Words…« – zwar auch dieser Klangwelt entlehnt – weniger meditativ, vielschichtiger und durch Zimbeln und Marimbaphon verfremdet. »Klang, Präzision und Beschwörung«, auch so hätte man den Abend übertiteln können.

Am ergreifendsten gerieten jedoch Dmitri Schostakowitschs Lieder zu den Gedichten Marina Zwetajewas. Einerseits, weil Schostakowitsch so atemberaubende Melodien gefunden und diese der Stimme unterlegt hat. Manchmal schweigen die Instrumente ganz zum gesungenen Wort oder es erklingt nur eines, wie die Solovioline des Konzertmeisters – Schostakowitsch hat die dem Text innewohnenden Gefühle in Musik umgesetzt und den »zarten« (zweites Lied), die noch dazu in einer Frage (»Woher?«) auftauchen, allerzarteste und fragende Klänge mitgegeben. Maria Gortsevskaya verlieh den Worten berührend Ausdruck. Ausgewogen zwischen Deklamation und Sinn- sowie Gefühlsvermittlung ließ sie die Worte durchaus »sprechen«, berührte aber auch mit Schlichtheit und Ausdruckskraft ihres Gesanges.

Die fröhliche, fulminante Stimmung des Anfanges hatten schon Schostakowitsch und Britten als trügerisch entlarvt. Doch versank das Programm, der Abend nicht in Düsternis, sondern schärfte die Sinne, machte hellwach, für das, was Bedeutung hat, den wahren Kern, die wirkliche Idee. Musik für den Kopf, brillant vermittelt.

23. Juni 2015, Wolfram Quellmalz

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