Am Ende Bach

Moritzburg Festival mit Solowerken in der Steinbacher Kirche

Zu den Gastspielorten des Moritzburg Festivals zählt seit einiger Zeit einer, der im Gegensatz zu Gläserner Manufaktur, Flugzeugwerft oder Schloß Proschwitz noch zurückgezogener scheint, enger, ruhiger – die Kirche Steinbach. In dem kleinen Gotteshaus mit der wunderschön bemalten Kassettendecke erklingen seit einigen Jahren Solosonaten und -suiten, Musik für Puristen, womit innerhalb des Festivals noch ein kleinerer, intimerer Kreis entstanden ist. Familiär fast ist die Atmosphäre, hier wird man stets durch einen Vertreter der Gemeinde begrüßt.

Am Freitagabend war es wieder so weit, Jan Vogler und Mira Wang luden ein zu einer guten Stunde intimer Kammermusik. Daß die Solowerke nicht immer auf einen Spieler reduziert sein müssen, bewiesen einmal mehr Jan Vogler und Guy Johnston, die Jean-Baptiste Barrières Sonate für zwei Violoncelli wieder einmal zur Aufführung brachten. Vor drei Jahren, zum zwanzigjährigen Jubiläum, hatten Jan Vogler und Christian Poltéra das Stück bereits im Monströsensaal des Schlosses aus der musikalischen Versteckkiste gezaubert, jetzt kam das hörenswerte Duo erneut zur Aufführung. Der kleinere Rahmen tat ihm durchaus gut, klar ließen sich Strukturen erkennen, die Übergabe der Stimmen – als spielte ein Cellist mit vier Armen.

Nach den barock verspielten und geknüpften Ornamenten hieß es nun, sich umzustimmen. Stimmen gehört – ähnlich wie beim Cembalo – zu den wichtigsten Tätigkeiten eines Harfenisten oder einer Harfenistin, bevor es losgehen kann. Nicht nur über knapp 50 Saiten hat er bzw. sie dann zu gebieten, sondern auch über sieben Pedale. Anneleen Lenaerts ließ Bedřich Smetanas »Moldau« in einer Bearbeitung Hanus Trneceks durch die kleine Kirche perlen, wirbeln und sprudeln. Zugegeben, sie ist ein kleines Flüßchen geworden und hat ohne die Orchesterunterstützung in der Programmatik verloren, an Munterkeit, Ausdruck und Quicklebendigkeit dennoch nicht.

Mira Wang setzte mit Eugène Ysaÿes für Mathieu Crickboom geschriebenen Sonate »L’Aurore« das technisch anspruchsvolle Programm mit beeindruckender Präzision und Wandelbarkeit fort. Mit haarscharfen Intervallsprünge und Umschwünge von sanft wispernden Tönen zu herb durchdringender Violine brillierte die Violinistin auf ihrer »Ex-Joachim«.

Auf diese Weise in Etappen durch die Jahrhunderte geeilt, langte Pauline Sachse auf der Viola schließlich (mit einer Programmänderung) in der Gegenwart an. Der türkische Komponist Mehmet can Özer ist mit der Pianistin Lauma Skride (sie war ebenfalls schon beim Moritzburg Festival) verheiratet. Beide haben vor kurzem ein Kind verloren, eine Erfahrung, die Mehmet can Özer in einem Stück verarbeitet hat. »Transmutation« für Viola Solo ist für Pauline Sachse geschrieben, erst vor wenigen Tagen fertiggestellt und dem Sohn Gabriel gewidmet. Es beschäftigt sich mit der (krankhaften) Veränderung genetischer Codes. In Einzeltönen, die verhallen, beginnt das Werk, folgt dann Ketten aus Noten und Pausen, scheint Impulse ebenso zu enthalten wie Stillstand (was wie Fehlstellen des Codes erscheint) oder Reflexionen auf die Impulse. Pauline Sachses Viola rief in den Raum hinein, wo eine Antwort verhallte. In der Wiederholung erschienen die Sequenzen bedrohlich oder auch bedroht (als wolle jemand verzweifelt ein Leben retten). Das Stück enthielt mehr Fragen, auch unbeantwortete, und Verzweiflung als stille Trauer und vermittelt so nicht zuletzt das Alleingelassensein, als der letzte Ton verlosch. Ein stiller, nachdenklicher Höhepunkt an diesem Abend.

Mit Johann Sebastian Bachs erster Suite für Violoncello führte Jan Vogler das Programm schließlich zurück zum musikalischen Ausgangspunkt für Steinbach, denn gerade Bachs Musik steht hier immer im Mittelpunkt.

20. August 2016, Wolfram Quellmalz

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