Kein vollständiges Requiem, aber eine berührende Vesper

Dresdner Kreuzchor mit dem Deutschen Requiem

Eigentlich hätte Johannes Brahms‘ Deutsches Requiem an diesem Wochenende zweimal auf dem Programm gestanden. Das vor einigen Jahren vom traditionellen Termin (Ewigkeitssonntag) um eine Woche nach vorn gerückte Konzert ist für viele Dresdner, nicht nur für Mitglieder der Kreuzkirchengemeinde, eines der wichtigsten im Jahreskalender. Nach den aktuellen Beschlüssen war eine solche Aufführung als Konzert des Kreuzchores jedoch nicht möglich. Was man gestern erleben konnte, war allerdings weit mehr als ein Kompromiß.

Statt der beiden Konzerttermine gab es nur die Vesperstunde am Sonnabend, zu der jedoch alle Chöre des Deutschen Requiems erklangen. Die Texte Sopran- und Baritonarien las Pfarrer Holger Milkau an den entsprechenden Stellen. Auch der Einsatz eines Orchesters wie ursprünglich geplant (Dresdner Philharmonie) kam nicht in Frage (die Kruzianer standen weit im Altarraum sowie auf den vorderen Emporen verteilt). Doch statt der bereits angedachten, pragmatischen Lösung einer Aufführung mit Klavierbegleitung entschied man sich glücklicherweise für die Orgelfassung von Knud-Erik Kengen. Sie ermöglichte reiche orchestrale Farben und unterstrich den romantischen Charakter des Werkes deutlich.

Kreuzorganist Holger Gehring hatte bereits den Einzug entsprechend begleitet und fand im Verlauf zu einer großen, sinfonischen und sinnigen Klangdichte und zu Herzen gehenden Interpretation. Der »Kompromiß« war schnell vergessen, auch die »reduzierte Form« als Fakt trat in den Hintergrund, denn unter der Leitung von Kreuzkantor Roderich Kreile gab es eine Aufführung der Chöre, gerade zu Beginn berührend wie selten.

Der Kreuzchor zeigte sich in bestmöglicher Verfassung, was eine feine Nuancierung ermöglichte, wie gleich mit dem aus der Stille wachsenden Beginn (»Selig sind …«). Darüber hinaus arbeitete Roderich Kreile kontrastierende Wirkungen, etwa der »Tränen« (2. Strophe I. Teil) und den in der dritten Zeile enthaltenen »Freuden«, angemessen heraus, also ohne den Kontrast zu überziehen – er enthält eine Verbundenheit oder ein Miteinander, keinen Gegensatz. So kehrte das Requiem bei allem Abschied und Gedanken an Tod und Jenseits immer wieder auf die »Lebensseite« zurück, deren innigen Puls man bei »… alles Fleisch, es ist wie Gras …« spüren konnte.

Die feine Vernetzung von Diesseits und Jenseits hatte Brahms in der Musik nicht nur dynamisch festgehalten, sondern auch in den Verläufen nachgezeichnet. Nach der ersten Lesung (Baßarie »Herr, lehre doch mich …«) ergänzte Holger Gehring die musikalischen Teile um eine Orgelstudie Brahms‘, die Fuge in as-Moll, die nicht nur tonartlich ungewöhnlich, im Charakter aber passend schien und den Gegensatz von Auf und Ab aufarbeitete.

Holger Milkau las an drei Stellen die nicht gesungenen Arientexte dramaturgisch wirkungsvoll und mit viel Ruhe. Damit entfiel das Wort zum Sonntag, um so wichtiger war die an dieser Stelle übliche Erinnerung bzw. das Gedenken an die im vergangenen Jahr verstorbenen Kruzianer, zu denen diesmal auch Peter Schreier gehört hatte.

15. November 2020, Wolfram Quellmalz

Nächste Kreuzvesper: 21. November, 17:00 Uhr, Kreuzkirche Dresden, Johannes Brahms: Vier ernste Gesänge, weiter Werke, Andreas Scheibner (Baß), Holger Gehring (Orgel), Holger Milkau (Liturg)

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