Spiel der Gegensätze

Elbland Philharmonie Sachsen zu Gast bei den Tonlagen in Hellerau

Das Konzert am Sonnabend im Festspielhaus Hellerau gehörte noch zu den 30. Dresdner Tagen der zeitgenössischen Musik aus dem letzten Jahr. Neben dem späten Nachholtermin war noch das Programm pandemisch beeinflußt und mußte mehrfach geändert werden, weil sich zum Beispiel nur kleine Besetzungen realisieren ließen. Dem fiel auch die (Ur)aufführung eines Konzertes für Harfe und großes Orchester von Lothar Voigtländer zum Opfer – es wäre schön, wenn sie dereinst nachgeholt werden könnte.

In zwar überschaubarer Zahl sorgte die Elbland Philharmonie Sachsen mit ihrem Chefdirigenten Ekkehard Klemm dennoch für mannigfaltige Eindrücke, und für einen der kräftigsten gleich zu Beginn mit der Uraufführung von Christian Münchs Cellokonzert mit 7 Schlagzeugern, wofür mit Matthias Lorenz ein ausgewiesener Spezialist und Erkunder zeitgenössischer, experimenteller Musikliteratur gefunden worden war. Er saß vor einem Halbkreis der Schlagwerker, die (Trommeln außen, Gongs innen) zwar symmetrisch aufgeteilt waren, jedoch keine synchronen Spielanteile hatten.

Im Konzert ließen sich »irdische« und »himmlische« (oder reale und sphärische) Klänge ausmachen, zwischen denen der Cellist behend zu wechseln und Himmelsleitern zu durchsteigen wußte, geprägt war das Stück aber vom Gegensatz des Individuums und einer es bedrohenden Macht. Ähnliches hatte schon vor Jahrzehnten Schostakowitsch dargestellt, Christian Münch allerdings reduziert den Konflikt fast auf den Kontrast allein und stellt ihn sehr gewaltsam dar, vor allem durch einen Donner der Trommelschläge. Das ist kaum noch erträglich – weshalb, fragt man sich, mutet der Komponist dem Publikum derartiges zu? Sieht man von Idee und intellektuellem Gehalt ab, berührt Musik schließlich nicht zuletzt emotionale Aspekte – kann man noch von »Konzert« sprechen, wenn sie sich nicht nur gegen die Gewohnheiten (das wäre ja in Ordnung), sondern gegen das Empfinden wendet? Gibt es hier eine Freude am Destruktiven? Oder anders gefragt: Welcher Dirigent oder Intendant eines Sinfonieorchesters würde solch ein Werk im eigenen Hause aufführen lassen, selbst in einem Sonderkonzert? Wenn die zeitgenössische Musik noch ihr eigenes Publikum separiert, gerät sie dann nicht in eine Sackgasse?

Insofern war Lothar Voigtländers »An-wandlung 2« für Flöte (Olaf Georgi), Harfe (Alma Klemm) und Schlagwerk (Hendrik Gläßer) nicht nur ein Gegensatz, sondern ein sinnliches Stück. Es schien, als spielten Luftgeister miteinander, die sich gegenseitig anregten – einem modernen Debussy ähnlich. Noch überraschender geriet Voigtländers »De profundis« für 5 Schlagwerker und Zuspielband, denn hier brachte Ekkehard Klemm die Musiker nicht nur zur Symbiose mit der elektronischen Zuspielung, das Stück – immerhin ist der eingeschlossene Choral gerade in der Entstehungszeit (1986) auch eine Provokation – erreichte überraschende klangästhetische und -sinnliche Effekte.

Als wahren »Fund«, da ursprünglich nicht geplant, kann man Iannis Xenakis »Epicycle« für Violoncello und 12 Musiker bezeichnen. Auch hier regen sich die Musiker gegenseitig an: Zunächst scheinen die einzelnen Stimmen individuell, mehr und mehr zeigen sich in Veränderungen oder Phasenverschiebungen aber Beeinflussungen – ganz wie Planeten und Sterne, die sich in einer Galaxie umkreisen, in der sich verschiedene Kreisbewegungen überlagern (worauf der Titel des Werkes zielt). Bei aller »Unnahbarkeit« offenbarte sich so eine »Schönheit eines Kristalls«, die jeder wahrnehmen könne, selbst wenn es ihm nicht gegeben war, »die Struktur des Kristalls mathematisch zu beschreiben« (Matthias Lorenz) – ein schöner Beitrag zum 100. Geburtstag des Komponisten!

13. Februar 2022, Wolfram Quellmalz

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