Jugendwerke

Kammermusikmatinée in der Villa Wollner

Am Sonntag lud ein Solisten-Sextett aus Berliner und Dresdner Künstlern um Prof. Annette Unger (HfM Dresden) zu einer besonderen Matinée in die Villa Wollner auf den Wachwitzer Hügel, standen doch ausschließlich Jugendwerke von Komponisten auf dem Programm, die nach dem frühen Auf-sich-aufmerksam-machen nicht einem Wunderkindschicksal des Vergessens anheimfielen, sondern welche die Erwartungen (wohl ebenso die eigenen) auch zu erfüllen wußten.

Bei Wolfgang Amadé Mozart trifft der Begriff »Jugendwerk« zwar mit Sicherheit auf das Divertimento in D (KV 136) zu, das er sechzehnjährig in Salzburg schrieb, seine Sonate für Klavier, Violine (oder Flöte) und Violoncello (KV 14) hingegen, 1764 entstanden, müßte man eigentlich als »Kinderwerk« bezeichnen, denn der achtjährige Knabe schrieb es in London, als er mit seinem Vater bei Johann Christian Bach zu Besuch war.

Edgar Wiersocki, Annette Unger, Claudia Other, Friedemann Slenczka, Alf Moser und Irena Josifoska im Matinéekonzert, Photo: Villa Wollner, © Christian Grayer

Im Quintett mit Annette Unger und Claudia Other (Violinen), Friedemann Slenczka (Viola), Irena Josifoska (Violoncello) und Alf Moser (Kontrabaß) erklang das Divertimento, das im damaligen Salzburg von der Hofkapelle musiziert worden war, einmal mit einzeln besetzten Stimmen, jedoch kaum weniger energetisch als mit einem ganzen Orchester. Im Gegenteil konnte man den durchsetzungstarken Stimmen in ihrer Individualität noch manches zusätzlich abgewinnen, da die Musiker durchaus keinen »schlanken« Klang anstrebten, sondern eine lebendige, auf die Korrespondenzen bedachte Wiedergabe. Mithin gab es das zuerst, was sonst oft als Zugabe hervorgeholt wird.

Mit Mozarts oben genannter Sonate ging es in kleinerer Formation weiter, die mit ihren wippenden Figuren einerseits eine musikalische Entsprechung zum Schaukelspiel des jungen Komponisten wiedergaben, andererseits hatte der Komponist offenbar ein Londoner Carillon in Form von Pizzicati eingebunden. Die Glockenspiele mit nicht frei schwingenden, sondern durch Tasten oder Pedale angeregten Glocken sind vor allem im anglikanischen Raum verbreitet und dürften für den begabten Knaben eine neue Erfahrung gewesen sein.

Gioacchino Rossini war ebenso einmal jung und – wenn auch älter als Mozart – als Student experimentierfreudig. Seine Sonata III bzw. sein Quartett für zwei Violinen, Violoncello und Kontrabaß erfreut sich mittlerweile einer gewissen Beliebtheit und ist zum Beispiel bei Akademisten öfter zu hören, denn es erlaubt einmal, den Baß virtuos hervorzuheben. Und das gelang hier aufs reizvollste, gewährte Rossini, der sich später leider von seinem Jugendwerk distancierte (immerhin hat er es nicht vernichtet), einerseits die thematische Verarbeitung über alle Stimmen, andererseits schenkte er jeder von ihnen besondere Aufmerksamkeit: während die beiden Violinen für eine Steigerung sorgten, als wollten sie versuchen, sich zu übertrumpfen, gehörte dem Cello eine gesangliche, fast ariose Passage, die auf den späteren Opernkomponisten verwies. Der Kontrabaß wiederum durfte eine ungemeine Leichthändigkeit unter Beweis stellen.

Nach dem Konzert luden die Villa Wollner und die LIOHT Stiftung zum Brunch in den Park der Villa, Photo: Villa Wollner, © Christian Grayer

Wenn auch nicht in seinem Quartett, so hat sich Gioacchino Rossini doch mit dem Menuett befaßt, wie Mozart und Mendelssohn, der noch folgen sollte. Gustav Mahler dürfte musikalisch jedoch kaum etwas ferner gelegen haben als ein solches (vielleicht mit Ausnahme der Gigue). Verblüffend ist, wie viel »originaler« Mahler bereits im nur als Fragment überlieferten Klavierquartett des sechzehnjährigen zu finden ist. Mit Edgar Wiersocki (Klavier) tat sich im erhaltenen Satz (Nicht zu schnell – entschlossen) bereits ein ganz typischer Mahler-Ton auf, der seelisch tief blicken ließ, nicht subtil, sondern ganz direkt und mit starkem, überwältigendem Ausdruck! Nebenbei fiel der Kontrast der Temperamente von Rossini auf Mahler aus wie schwarz und weiß oder wie Limonencrème und Schweizer Rösti.

Im Sextett vereint fügten die Musiker sogar noch ein Temperament hinzu – das des jungen Mendelssohn. Im Opus 110 hat sich der Komponist und Pianist wohl ein Stück auf den Leib geschrieben, in dem er sich als Spieler (im Salon) präsentieren konnte. Anders als Rossini, der die Themen kreisen ließ, steht hier oft der Pianist dem Ensemble gegenüber und darf sich virtuos hervortun (und damit selbst den Notenumblätterer ins Schwitzen brachte). Das entsprach damals der Mode, man denke beispielsweise an Henri Herz. Doch Mendelssohn blieb original Mendelssohn, individuell und gewitzt, noch wenn er in den Ecksätzen ein wenig »Forelle« (oder vielleicht »Schmerle«) springen ließ. Die Annäherung an Schubert lag dabei nicht nur in thematischer Ausführung und Besetzung, sondern auch im Schluß des Finalsatzes, der dem Zuhörer immer wieder das Ende anzukündigen scheint, um dann in eine neue Codaschleife abzubiegen.

8. Juli 2024, Wolfram Quellmalz

Ein Wiederhören mit Annette Unger und ihren Studenten wird es im Herbst geben (Konzert der Szymon-Goldberg-Preisträger), außerdem sind ein Klavierkonzert sowie eine Photoausstellung geplant. Weitere Termine demnächst.

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