Pianist Peter Rösel blätterte zwischen Haydn und Schubert
Wenn Musiker treue Verehrer haben, dann liegt das wenig an Herkunft oder Heimat, sondern an der überzeugenden Wirkung, die sie – immer wieder – erzielen. Weil Pianisten zum Beispiel ein Repertoire beherrschen, Artikulation dem Effekt vorziehen. Dann entsteht eine Atmosphäre der Gediegenheit, die nichts mit wohligem Räkeln zu tun hat, sondern mit Anregung, Erfrischung und Erfüllung. So war es am Freitagabend im Dresdner Kulturpalast, als Peter Rösel im Konzert kurz nach seinem 80. Geburtstag die vier großen Komponisten der (ersten) Wiener Schule aufs Programm gesetzt hatte: Haydn, Mozart, Schubert und Beethoven. Allein schon der Beginn – welcher Pianist widmet sich heute so ernsthaft Haydn und Mozart? Im Publikum konnte man in der Pause beifällige Kommentare hören, etwas von der »guten alten Schule«. Es gibt sie also noch, zumindest auf dem Klavier, diese »Schule«, und man muß sie gar nicht wehmütig als etwas ansehen, das der Vergangenheit angehört. Ihr nobler Glanz schimmert heute nur manchmal etwas weniger neben grellen Popeffekten.

Nicht von der »guten alten Schule«, aber von wertvollen Erfahrungen mit ihrem Orchester hatten zur Begrüßung Martin Bülow (Künstlerischer Betriebsdirektor) und Konzertmeister Wolfgang Hentrich von der Dresdner Philharmonie gesprochen, die auf eine jahrzehntelange Zusammenarbeit und viele gemeinsame Konzerte zurückblicken konnten, die »höchste Qualität« der Darbietungen des Pianisten lobten, den sie zu jener besonderen musikalischen Exzellenz zählten, die gerade ab den 1970er und 80er Jahren Dresdens Ruf in die Welt trugen. Und heute noch tragen, wie die Einladung des Veranstalters Vienna Classic beweist.
Joseph Haydns »Genzinger« Sonate (Hob XVI:49) steht am Beginn einer Entwicklung, die vom damals neuen Hammerklavier gekennzeichnet war und dem Suchen der Komponisten. Die einen begannen, dynamische Möglichkeiten in ihren Werken zu nutzen (Haydn und Mozart), die anderen gingen noch manche Schritte weiter und erweiterten die Form (Beethoven und Schubert). Manches blieb dennoch, wie der Humor, den Haydns Es-Dur-Sonate im ersten Satz verriet, dessen aufwärts gerichtetes Neckmotiv Peter Rösel geradezu schelmisch offenbarte. Die heitere Grundstimmung hielt an, wurde im Adagio fast bildhaft, während das Tempo di Menuetto gezielt auf einen pointierten Schlußpunkt zulief.

Wolfgang Amadé Mozarts Sonate A-Dur, die mittlere aus der Trias KV 330 bis 332, schien sich immerfort zu steigern. Beinahe kantig präsentierte Peter Rösel die Motivkonturen zu Beginn, bevor das Thema in Variationen virtuos und mit Überraschungen – Tonartverschiebungen, fast impressionistische Läufe – Mozarts Phantasie offenbarte. Dem Menuett folgte das berühmte Rondeau »Alla turca« – flott, wiederum pointiert, aber schlank.
Bei genauer Betrachtung lassen schon Haydn und Mozart Elemente der Romantik erkennen, bei Beethoven und Schubert herrschen sie bestimmend vor. Mit Franz Schuberts Sonate e-Moll (D 566) hob Peter Rösel ein Werk auf die Bühne, das nicht oft zu hören ist – zu eingeschränkt bzw. zu sehr auf die großen Sonaten konzentriert ist der Kanon bei diesem Komponisten immer noch! Dabei lohnt es, seinen Versuchen (auch Fragmenten) zu folgen. Das Beispiel zeigte, daß nicht nur die Satzfolge, sondern auch der innere Zusammenhalten ein neuer wurde – Schubert als phantasievoller Sucher und Wegbereiter, in dessen Werken sich Dramen vollziehen! Sein Scherzo funkelte fast schumannesk voller spontaner Impulse, bevor Peter Rösel die liedhaften Qualitäten des Allegretto entdeckte. Als kleinen Anachronismus ließ der Pianist Ludwig van Beethoven viel früher entstandene fünfzehnte Klaviersonate (»Pastorale«) zum Schluß folgen. Im Vergleich fielen die geordneten, strukturierten Läufe auf, denen Peter Rösel aber angemessene Bedachtsamkeit angedeihen ließ. Die Binnensätze liefen der »Ordnung« fast zuwider, ließen Schubert vorausahnen, näherten sich Formen wie Lied oder Impromptu, bevor sich Beethoven mit seiner Auffassung eines Rondeaus auf einen dramatischen Gipfel schwingen durfte – und das alles unprätentiös präsentiert, auf die musikalische Substanz konzentriert. Diese zum Klingen zu bringen, geht es letztlich nicht genau darum? Hier war es wieder einmal so – gute alte Schule. Ein Sonatensatz Mozarts und ein Moments musicaux Schuberts rundeten dies (vorläufig) ab. Wenn Peter Rösel mag, versprach der Veranstalter, soll es gern eine Fortsetzung geben.
15. Februar 2025, Wolfram Quellmalz