Nachtrag 1: Beinahe wie Tag und Nacht

Moritzburg Festival feierte Doppelkonzert

Was am Konzert des Moritzburg Festivals (MBF) am vergangenen Sonnabend »doppelt« war, dafür gab es verschiedene Ansätze: die europäischen Musikmetropolen Leipzig und Wien, die per Werke im Programm verankert waren, die beiden Aufführungsorte Evangelische Kirche und Schloßterrasse, oder das Gegenüber von beliebtesten und eher unbekannten Stücken der Kammermusik. Und selbst bei den Publikumslieblingen unter den Werken fand sich eine Dualität der Verschiedenheit.

Denn Johann Sebastian Bachs »Goldbergvariationen« sind in einer Kammermusikfassung eben doch nicht so oft zu erleben wie Schuberts »Forellenquintett«, das schon ungezählte Male im Schloß und drumherum erklungen ist. Das MBF feierte Bach vor einigen Jahren mit eigenen Schwerpunkten und brachte 2013 die Fassung für Streichtrio von BWV 988 mit nach Moritzburg (danach erklang das Werk noch einmal in Solistenbesetzung im Rahmen der Meisterkonzerte auf Schloß Albrechtsberg). Damals spielte Alexander Sitkovetzky, der Neffe des Bearbeiters (Dmitri), die erste Geige und schloß eine Weltkarriere an. Immerhin auf dem Programmheft abgebildet, in diesem Jahr aber nicht vor Ort, übernahmen Karen Gomyo (Violine), Nicholas Swensen (Viola) und Hayoung Choi (Violoncello) die Aufgabe, in der Evangelischen Kirche den Klang von Stradivari, Amati und Guarneri auf sinnlichste Weise zu vereinen. Wobei selbst das beste Streichinstrument nach einer kundigen Hand verlangt und nicht von alleine klingt. Hier war die Voraussetzung gleich sechsfach gegeben, und so konnte das Publikum die Wiederaufführung der »Goldbergvariationen« wie eine Wiederauferstehung erleben. Dmitri Sitkovetskys Bearbeitung hat einen hohen Grad an Eigenständigkeit erreicht!

Das begann schon mit der Aria, die, dreifach sanglich eingeleitet, zu ihren Ursprüngen wiederzukehren schien. Und gleich die erste Variation verband mit ihren weichen Rundungen einen gegenüber dem perkussiveren Cembalo anderen Charakter und erinnerte an die Mannigfaltigkeit der Instrumente zur Bach-Zeit überhaupt.

Im Trio bezog Bachs Meisterstück Spannung einerseits aus dem Miteinander der Spieler, die auch einmal ein Ungleichgewicht im Duo ausfochten, mit Punktierung »zuspitzten« oder dialogische Szenen spielten, andererseits aus dem Bezug der Folge. So konnte sich die Spannung plötzlich oder stetig erhöhen (Variationen 14 bis 16), wie Augenblicke der Beruhigung eintraten (Variationen 12 auf 11). Und selbst diese kleinste Besetzung fand zu einer sinfonischen Klangschmelze (Canone all‘unisono in Variation Nr. 3).

Nebenbei (dringende Empfehlung!): Ob nun die Legende um die Entstehung des Werkes stimmt oder wieviel davon, sei die Geschichte um den Kammermusiker Johann Gottlieb Goldberg und dessen angeblich ruhelosen Dienstherren Hermann Carl von Keyserling(k) doch Anlaß genug, dem Adelsgeschlecht Aufmerksamkeit zu widmen und sich den Werken eines weiteren, Eduard von Keyserling, des »baltischen Fontane«, wieder einmal zuzuwenden!

Buchtip: Eduard von Keyserling »Wellen« (Roman), »Im stillen Winkel« (Erzählungen), erschienen bei Reclam, Manesse u. a.

Nach der Pause mit Wandel zum Schloß und Besichtigung desselben repräsentierte das Andante & Allegro brillant für Klavier zu vier Händen von Felix Mendelssohn »Leipzig« im Programm. Wu Qian und Juho Pohjonen stimmten das Andante wie ein Lied ohne Worte im wechselseitigen Einverständnis an, um hernach zu zeigen, wofür der Begriff brillant im musikalischen Sinn steht. Und doch blieben die Konturen fein poliert statt grellbeleuchtet – eine feine Ein- und Überleitung zur Munterkeit eines Bächleins.

In diesem sollte sich Franz Schuberts »Forelle« tummeln, obwohl das MBF leider die eigenen Qualitäten der vorsichtigen Klangverstärkung ein wenig aufgegeben hat. Wiewohl erlesen vorgetragen (Kevin Zhu / Violine, Karolina Errera / Viola, Jan Vogler / Violoncello, Janne Saksala / Kontrabaß sowie Juho Pohjonen), traten gerade solistische Stimmen immer wieder zu dominant hervor, insgesamt stellte sich der Eindruck eines etwas zu laut aufgedrehten Radios ein. Dabei hatte Kevin Zhu – am Donnerstag noch mit einer allerersten öffentlichen Probe ins kalte Wasser geworfen – mit seinen Mitstreitern zu einer ausgewogenen Wiedergabe gefunden. Der Munterkeit tat es dennoch keinen Abbruch – begeisterter Applaus auch nach dem zweiten Konzertteil.

17. August 2025, Wolfram Quellmalz

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