Gedenkkonzert des Dresdner Kammerchores
In den vierzig Jahren seines Bestehens hat der Dresdner Kammerchor unter seinem Leiter Hans-Christoph Rademann nicht nur zahlreiche Konzerte und Aufnahmen ins Leben gerufen, sondern beständige Programme entwickelt. Die Gedenkkonzerte zu den Pogromnächten im November, einst durch die persönliche Freundschaft des Chorleiters mit dem deutsch-amerikanischen Komponisten Herman Berlinski angeregt, gibt es mittlerweile ebenfalls seit Jahrzehnten fast ununterbrochen.
Für die diesjährige Ausgabe am Sonnabend in der Dresdner Annenkirche hatte Hans-Christoph Rademann die Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Karin Prien, gewonnen, die dem Programm einige sehr persönliche Gedenkworte hinzufügte.
Die Musik wies nicht allein tragisch auf die Geschehnisse vor 87 Jahre hin, sondern verband in Texten und Lebensläufen von Komponisten besonders jüdische und christliche Aspekte, weil Komponisten beider Konfessionen ebenso vertreten waren wie Texte sowohl in jüdische als auch christliche Musik eingingen.
Gleichzeitig war es eine Reise durch die Zeit und das Repertoire des Dresdner Kammerchores, die bei Heinrich Schütz begann. Als Dreh- und Angelpunkt eröffnete »Herr, unser Herrscher« (SWV 27) vom »Vater der deutschen Kirchenmusik« als Anrufung mit dem Lebensklangs einer (Chor)stimme das Konzert – der Psalm 8 entnommene Text sollte später noch einmal in der Vertonung von Salamone Rossi erklingen. Die kraftvolle Anrufung, die erst den Einklang betont, um sich dann vielstimmig zu verzweigen, setzte sozusagen ein Leuchtzeichen, auf das sich »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir« (SWV 25, Psalm 130) fast im Charakter einer Klage beginnend, anschloß. Doch Schütz verweilte nicht im Klagen, gab einen musikalischen Anstoß zum Aufbruch bzw. zur Hinwendung. Schon hier zeigte sich eine große Spannweite des Kammerchores, die von der Geschlossenheit, einer Homogenität, die allein schon eine umwerfende Wirkung erzielte, und letztlich bis in verteilte, berührende Soli reichte und viele Klang- und Farbfacetten durch die Jahrhunderte darstellte.
Immer wieder gaben sich dabei Paare oder Bezüge zu erkennen, wie durch Werke des jüdischen Kantors Salomon Sulzer und Franz Schuberts »Tow l’hodos«. Daß Schubert eine seiner letzten Kompositionen und seine einzige in hebräischer Sprache für Sulzer geschrieben hatte, berührte zusätzlich. Das musikalische Hinwenden, der Aufbruch, schien in vielen Liedern zu stecken. Sulzers »B’zet Israel« (Psalm 114) barg es, Felix Mendelssohn hatte in »Mein Gott, warum hast du mich verlassen« (Psalm 22) ein noch größeres Wunder geschaffen, denn das verhältnismäßig kurze Werk gewinnt, mit einem Trauerchor beginnend, eine oratorische Kraft.
Von Salamone Rossi, der aus einer berühmten italienisch-jüdischen Musikerfamilie stammte, standen »Elohim Hashivenu« (aus Psalm 80) und »Lamnatzeach al hagitit«, mit dem sich ein Text aus Psalm 8 wiederholte, auf dem Programm. Während das erste (»Gott, stelle uns wieder her«) die überlieferte Klangsprache noch vor Heinrich Schütz lebendig werden und einzelne Schlüsselworte (»Adonei« / Gott) kraftvoll leuchten ließ, erhob sich anschließend »Herr, unser Herrscher« als hymnischer Gesang ins Kirchenschiff.
Mit ihren Worten gab Karin Prien Gedenkanstöße, wobei es diesmal weniger ein aus der Musik herausragender Impuls war, sondern fest ins Programm eingeschlossen blieb. Denn die Bundesministerin erzählte von den jüdischen Wurzeln ihrer eigenen Familie und wie dies zunächst keine Rolle gespielt habe. Erst Besuche in Israel und Begegnungen mit anderen jüdischen Familien habe ihr manches vor Augen geführt. Die Pogrome 1938, so Karin Prien, seien nicht nur durch die Täter ausgelöst, sondern durch die Gleichgültigkeit der Masse getragen worden. Solche Gleichgültigkeit dürfe es nicht mehr geben. Ihre Mahnung, miteinander zu sprechen, sich mit Empathie zu begegnen, wirkte nicht wie ein »Appell an andere«, sondern war die von Herzen kommende Bitte einer Beteiligten.
Nach Schuberts berührender Psalmvertonung standen die Deux mélodies hébraïques von Maurice Ravel sowie Arnold Schönbergs vom Komponisten selbst als utopisch aufgefaßter Text »Friede auf Erden« noch einmal für eine enorme Vielseitigkeit, die Solostimmen aus dem Dresdner Kammerchor ebenso herauswachsen ließ wie das gesamte Ensemble eine schiere Gestaltungskraft entwickelte, die bei Schönberg besonders eindrucksvoll aus dem warm vorgetragenem Wort »Frieden« in große harmonische und dynamische Höhen wuchs.
9. November 2025, Wolfram Quellmalz
Nächstes Konzert des Dresdner Kammerchores: Neujahrskonzert, 1. Januar, 19:30 Uhr Dresdner Frauenkirche

Der Freistaat Sachsen ruft für 2026 ein Themenjahr »Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen« ins Leben, das am 14. Dezember mit dem Beginn des jüdischen Lichterfestes Chanukka feierlich in Chemnitz eröffnet wird.