Eine schöne Idee – die Dresdner Abende. Seit 2012 greifen sie regelmäßig die Musikgeschichte der Stadt, vor allem jene des 20. Jahrhunderts (aber nicht nur), auf. Denn außer Weber, Schumann, Wagner und Strauss haben viele ihre Spuren hinterlassen. Im Deutschen Hygienemuseum kann man diesen regelmäßig folgen, nun schon zum siebenten Mal.
Wolfgang Hentrich, der hinter dem Konzept der Reihe steht, hatte diesmal eine Brücke über die Jahrhunderte gebaut. Kolja Lessing war nicht nur als Solist, sondern auch als inspirierter Musikvermittler zu Gast. Stücke des »Vaters« Bach, das dritte der Brandenburgischen Konzerte sowie jenes in E-Dur für Violine und Orchester (BWV 1042), dienten als Auftakt und Abschluß, vom Philharmonischen Kammerorchester durch die Zeitläufe und mit dem Wissen der romantischen wie der historisch informierten Aufführungspraxis gleichermaßen transponiert und in allen Farben lebendig im Großen Saal des Hygienemuseums entfaltet. Und dazwischen eingebettet: Bach, doch nicht Johann Sebastian, sondern Wilhelm Friedemann, der – zumindest für diesen Abend – »Dresdner« Bach (Wolfgang Hentrich). Denn hier an der Elbe entstand vermutlich seine Sinfonia in d-Moll, mit einem lyrischen Flötenduett und einem kontrapunktischen Allegro e forte. Das war nicht nur atemberaubend schön, sondern erinnerte auch an hohe Fugenkunst der damaligen Orgelwerke und Oratorien. Dem einleitenden Adagio, eine liturgische Erlösungsmusik und himmlische Anrufung, folgt kontrapunktische – nein, nicht Strenge – Phaszination.
Diesem Familienschaffen gegenüber stellten Wolfgang Hentrich und das Philharmonische Kammerorchester zwei Werke der jüngeren, nicht weniger spannenden Musikgeschichte. Dimitri Terzakis‘ »A une Madone« ist eine Hommage, die zwischen den Welten wandert. Zwischen der westlichen, der griechischen und der orientalischen. Er nimmt aus all diesen Regionen Anregungen auf und verarbeitet diese mit reicher Ornamentik. Das Kolja Lessing gewidmete Werk wird vom Erzähler, der Violine vorgetragen, zu der es einen Grundton und Kommentare (Streicher) gibt. Aus diesen tritt regelmäßig der Baß heraus, der sich mit Einwürfen und Kommentaren der Violine gegenüberzustellen scheint. Formal einsätzig, ist das Werk in mehrere (Erzähl-)Teile untergliedert, gewinnt hier an Schärfe und Konflikt, kommt wieder zur Ruhe. Motive und Strukturen verlieren sich zwischen verschliffenen Vierteltönen, da kann sich auch der Hörer das eine oder andere mal verlieren. Doch kommt er auch – der orientalischen Ornamentik sei Dank – immer wieder ins Werk zurück. Die Kleinteiligkeit ist beim erstmaligen Hören vielleicht eher zu erfassen als der übergeordnete Erzählstrang.
Ganz anders in Berthold Goldschmidts beiden Psalmvertonungen (120: »Ich rufe zu dem Herrn in meiner Not« und 124: »Wo der Herr nicht bei uns wäre«). Hier folgt die Musik der Dramaturgie des Textes, glasklar vorgetragen von Frank Blümel und aufregend bis in die Haarspitzen. Unterschiedlich wie die Psalmtexte ist auch die ihnen untergebene Musik: Während jene für Psalm 120 einen flehenden, pulsierenden, getriebenen Charakter hat, spendet jene für 124 Trost, hält inne, gebiert Hoffnung aus Zuversicht. Und auf Zäsuren reagiert Goldschmidt vertrauend, ergeben, der Rettung sicher. So endet das Werk auch im Triumph.
Nach drei solch anregenden, aber auch fordernden Werken, war BWV 1042 dann wie eine Rückbesinnung und Einkehr, die den Nachgefolgten (Komponisten) jedoch nicht richtend das Wort abschnitt, sondern verbindend ihre Herkunft ausmalte.
Vielleicht hätte man als Zugabe eines der mittleren Werke wiederholen können, andererseits war es gerade Kolja Lessings edler, nobler Violinton, den man noch einmal mit einem weiteren Stück hören wollte. Und so schlug Wolfgang Hentrich noch einmal eine Brücke, und zwar zum nächsten Dresdner Abend an gleicher Stelle im Oktober. Dann wird es unter anderem Johann Sebastian Bachs Konzert für zwei Violinen in d-Moll (BWV 1043) geben, in der Besetzung Wolfgang Hentrich / Vadim Gluzman. Satz 1 daraus gab es nun schon einmal zum Vorhören mit Kolja Lessing.
Man sollte die Reihe umbenennen: »Dresdner Genießerabende«!
Wolfram Quellmalz