Die nordische Natur und Mythologie schien greifbar nahe in diesem Konzert, und mit ihnen die Elemente von Feuer und Eis. Alchimist Daniel Harding schmolz mit dem Schwedischen Rundfunk-Sinfonieorchester daraus ein funkelndes, geschmeidiges Amalgam.
Vor Jean Sibelius‘ Violinkonzert mit Nikolaj Znaider stand Albert Schnelzers »Tales from Suburbia« (»Vorstadtgeschichten«) auf dem Programm. Das junge Werk, erst am 13. März in London uraufgeführt, ist seit dem bereits mehrfach erklungen, so auch in Schweden mit dem Schwedischen Rundfunk-Orchester unter Daniel Harding. Albert Schnelzer, 1972 in Värmland geboren, hat ein Werk geschrieben, das die Farben und Stimmungen seiner Heimat einzufangen scheint und damit ganz in der Tradition skandinavischer Komponisten steht. Daß Schnelzer darüber hinaus auch Mitglied in einer Rockband war, was manche seiner Stücke vielleicht färbt, war am Freitagabend in der Semperoper nicht vordergründig spürbar, allenfalls durch ein paar »Beats« in der Mitte des Werkes.
»Tales from Suburbia« beginnt ohne Streicher, allein mit Perkussion und Bläsern. Erst dann treten die Streicher hinzu, hellen die Stimmung auf, spielt die Oboe eine somnambule Melodie. Schnelzer scheint mit den Elementen zu spielen – hell und dunkel oder eben Feuer und Eis – hat seinem Werk aber auch nordische Weite und Kühle eingepflanzt wie einst Sibelius, Nielsen oder jetzt Lindberg. Immer wieder wechseln auch schlagende, aufbrausende Abschnitte mit solchen der Beruhigung. Daniel Harding gab den kleinen Motiven Zeit, sich zu entwickeln und ließ sie das Publikum entdecken, konnte aber auch elementare Wucht daraus entwickeln – das war packend! Entsprechend wurde »Tales from Suburbia« sehr erfreut und interessiert aufgenommen, auch der anwesende Komponist war offensichtlich mit der Aufführung glücklich.
Gleichzeitig ist dies eine schöne und passende Ouvertüre für Jan Sibelius‘ Violinkonzert gewesen. Die Sprache blieb nordisch, elementar. Nikolaj Znaider war schon oft in Dresden zu Gast, auch mit diesem Werk, doch von Routine keine Spur. Kraftvoll und »mit Saft« spielte er den Violinpart, kostete die Kadenzen sehr zur Freude des Publikums aus, betonte den romantischen Gestus des Stückes, immer wieder auch im Blickkontakt mit seinen Duopartnern – Znaider ist seit langem auch selbst Dirigent. Das Schwedische Rundfunk-Orchester (übrigens mit einem hohen Anteil Frauen, auch an den ersten Pulten) begleitete ihn beflissen. Daniel Harding behielt auch hier seinen »feinen Pinselstrich« bei, ließ die Elemente funkeln, kristallklar. Mit der Sarabande aus der Partita Nr. 2 verabschiedete sich der gern gehörte Gast.
Hector Berlioz »Symphonie fantastique« erklang nach der Pause. Kein Skandinavier, nein, und doch gab es eine »Brücke«: Jan Sibelius hatte den letzten Satz seines Konzertes »Danse macabre« benannt, mythische Fabelwesen und Tänze gibt es auch bei Berlioz. Er verpackt diese in Traumszenen, einen Ball, einen Sabbat. Daniel Harding ließ feine Nuancen in allen Orchestergruppen erklingen, auch wenn sie hinter der Bühne aus der Ferne riefen. Besonders der dritte Satz, eine »Szene auf dem Land«, war ein Höhepunkt dieser Feinzeichnung. Harding entwickelte aber auch dämonische Fratzen aus den Klängen des Sabbats, ließ eine Hexe durch den Saal fliegen, brach mit ganzer Wucht über die Zuhörer herein. Alpdruck, Erregung und Entspannung – Feuer und Eis.
Ein langes, beeindruckendes Konzert mit hervorragenden Gästen – ganz so wünscht man es sich zu Festspielen!
16. Mai 2015, Wolfram Quellmalz