Reformationstag und Luther
Mit einem Festkonzert zum Reformationstag schloß die Frauenkirche eine Reihe von Gottesdiensten und Veranstaltungen zum zehnjährigen Jubiläum der Kirchweihe ab. Der Feiertag und das bevorstehende große Reformationsjubiläum 2017 mit Martin Luther als zentraler Persönlichkeit spiegelten sich in den Werken und Texten des Abends wider. Für den besonderen Anlaß war von der Gesellschaft zur Förderung der Frauenkirche Dresden e. V. ein weiteres Mal ein Auftragswerk vergeben worden. Wie schon vor zwei Jahren (Daniel Schnyder) hatte man sich hierfür eines Komponisten versichert, der den Gedanken des sich Öffnens ebenso in seinen Werken verinnerlicht wie die Zugänglichkeit von Texten. Willi Vogls Werkkatalog weist bereits einige Psalmvertonungen und Kantaten aus, am Sonnabend wurde sein Oratorium »Gott.Fried« vom Sächsischen Vocalensemble und den Virtuosi Saxoniae uraufgeführt. Die Leitung hatte Vocalensembleleiter Matthias Jung anstelle des erkrankten Ludwig Güttler übernommen.
Willi Vogls Oratorium beginnt gleich mit einem Achtungszeichen, mit Schlagwerk und Marimbaphon und öffnet somit die Klangwelt über die gewohnte der (christlichen) Kirche hinaus. Auch sonst erweist sich das Werk als »Fänger«, der durch Effekte und Wiedererkennung seine Zuhörer einnimmt. Melodisch ausgeformt, reich an Farben und dramaturgisch gestaltet zeichnet es nicht zuletzt die Figuren des Teufels und Martin Luthers nach. Vor allem den Teufel präsentiert Vogl nicht simpel als »das Böse«, als Dämon, sondern auch als charmanten Verführer (in süßer Tenorlage und mit Flötenbegleitung), jedoch auch voller Hohn und Verachtung. Und wenn er die Menschen auffordert »Springt!«, dann schlägt die süße Schmeichlerstimme (eindrucksvoll dargestellt von Patrick Grahl) schlagartig ins fordernde um. Luther dagegen (Baß Tobia Berndt) ist grundsätzlich »dunkler« angelegt, bleibt jedoch die Lichtgestalt des Stückes. Zwar ist er der Wegweiser, zweifelt aber auch. Im Text bezieht sich Vogl vor allem auf den Begriff des Friedens, setzt ihn aber nicht als gottgegebenes Geschenk voraus, sondern zeichnet den Weg dahin nach. Die Worte stammen von Martin Luther, der Großteil jedoch vom Komponisten, der sich aber auf Luthers Knittelverse bezieht. Mit dieser Parodie stößt er jedoch auch an die Grenze zur Persiflage, etwa, wenn der Teufel das Volk mit »Herr Gott noch mal« antreibt.
Letztlich war es von allem ein wenig zu viel, zu viel der Klangeffekte, aber auch zu viel der Zugänglichkeit und Anknüpfungspunkte. So setzt Willi Vogl den Choral nicht als verbindliche Schlußformel der Gemeinde oder übergeordneten Kommentar ein, sondern schmückt das ganze Stück damit aus, was die Aussagekraft aber entschärft. Auch seine Zitate von Liedern sind – soweit man diese kennt – allzu leicht aufspürbar und entheben eines tieferen Nachsinnens. Und schließlich stellt sich die Frage, inwieweit der Bezug zum Ort und der Zeit (»Elbe«, »Vladi, Barack, Benjamin«) für künftige Aufführungen von Bedeutung sein wird. Nur eine halbe Stunde dauert das aus fünf Teilen (1. Verletzung, Trost und Dank, 2. Frieden, 3. Verführung und Läuterung, 4. Verblendung und Appell, 5. Sein) bestehende Werk, das rhythmisch getrieben und mit Pausen nur zwischen den Teilen dahinzujagen scheint und nicht zur Ruhe findet. Dennoch verkündet es die Friedensmöglichkeit, wenn Romy Petrick mit glasklarem und betörendem Sopran das »Sein« verkündet.
Willi Vogls Werk hatte Matthias Jung Bachs Passions-Kantate »Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort« gegenübergestellt, welche den Friedensgedanken ebenfalls aufgreift. Auch hier konnte das Vocalensemble glänzen, war ebenso textverständlich wie gestalterisch kraftvoll, eindrücklich spürte es den Texten nach. Bei den Solisten, nun auch um Silvia Janak (Alt) erweitert, glänzte besonders Tobias Berndt mit der Baßarie, während Patrick Grahl in der Höhe zwar stemmte, dafür aber ein wunderschönes Rezitativ gestaltete.
Umrahmt wurden die beiden Vokalwerke von Stücken für Orgel (Friedrich Kircheis) sowie Orgel, Blechbläser (Blechbläserensemble Ludwig Güttler) und Pauken. Für den ganzen Abend wurde die große Kern-Orgel genutzt, aber auch die Solotrompeten spielten von der Orgelempore aus. Der Abschluß des Kirchweihjubiläums geriet auf diese Weise angemessen festlich.
1. November 2015, Wolfram Quellmalz
Lieber Herr Quellmalz,
Dank für Ihre Sichtweise auf mein Oratorium, vor allem auf die Botschaft darin. Ich freue mich immer über eine ernsthafte Beschäftigung von Hörern mit meiner Musik. Zunächst finde ich es ermutigend, dass viele meiner Ideen und Setzungen bereits beim ersten Hören und sogar in der mangelhaften Akustik der Frauenkirche (auch die von mir beabsichtigte) Wirkung entwickelt haben.
Gern möchte ich Ihnen auf einige Ihrer Einlassungen antworten.
„…zu viel der Zugänglichkeit und Anknüpfungspunkte…“ Zuerst habe ich diese Stichworte als Synonym für die Handlungsdichte des Librettos und der Musik wahrgenommen und hätte darauf geantwortet: Geht es nicht gerade darum maximal vielfältige aber auch eindeutige (siehe auch Kritik zu den Zitaten) Zugänglichkeit und Anknüpfungspunkte zu schaffen, um den Hörgenuss zu intensivieren und gleichzeitig die von der Musik getragene Botschaft so plastisch, kurzweilig und erinnerbar wie nur irgend möglich erscheinen zu lassen?
Doch dann kam mir der Gedanke, dass ich die Hörer mit den vielfältigen textlichen und musikalischen Bezügen zumindest beim ersten Hören schlichtweg überfordere. Vielleicht hat die Musik in ihrer überbordenden Motorik einfach zu wenig Ruhe- und Besinnungspunkte. Zudem könnte die Doppelfunktion des Chores als Darsteller des Volkes und gleichzeitiger Kommentator eine nötige Klarheit erschweren…
„…schmückt das ganze Stück mit Chorälen aus.“ Die häufige Verwendung von Choralgesten und choralähnlichen Abschnitten ist zunächst der Rollenzuordnung des Chors als Erzähler geschuldet und schlägt eine Brücke zur allseitig vertrauten Funktion eines Chores in der Gattungsgeschichte. Jedoch gibt es auch handelnde Abschnitte, in denen der Chor etwa als fehlgeleitetes und kriegerisch agierendes Volk auftritt. Hier etwa in „2.4. Politischer Frieden“ mit einem 3minütige aggressiver Flüster- und Sprechteil zum Text „Wir haben den Mut“. Zugegeben: Der Choral bzw. die choralähnliche Teile spielen in eher begrenzten imitatorischen Mustern die dominierende Rolle bei der Chorbehandlung. Da nehme ich Ihre kritische Sicht gerne auf, um dieses Verhältnis hier und zukünftig nochmals zu überdenken, zumal mit der Beschränkung auf derlei Mustern die Möglichkeiten eines so hervorragenden Chores wie dem Sächsischen Vocalensemble längst nicht ausgereizt sind.
„…Bezug zum Ort und der Zeit…“
„Vladi, Barack, Benjamin“
Dies sind Platzhalter für aktuell im politischen Weltgeschehen agierende Personen. Zugleich sind sie auch Platzhalter für jeden einzelnen von uns, da wir uns fragen müssen, ob unserer Entscheidungen gegenüber unserem Gewissen und der Gemeinschaft gegenüber, in der jeder eingebunden ist, verantwortbar sind. Hier werde ich über Aktualisierungsmöglichkeiten nachdenken, die ich zukünftigen Interpreten eröffne. Die Namen lassen sich beinahe beliebig austauschen und erzeugen je nach „kriegerischer Aktualität“ eine mehr oder weniger drastische Wirkung. Sollten diese Namen jedoch bleiben und sollte ein zukünftiges Publikum diese nicht mehr historisch einordnen können, so erfüllten Sie genau den Zweck eines Platzhalters für den Menschen im Allgemeinen und in der jeweiligen Zeit.
„Elbe“
Der Fluss Jordan in Palästina schied die Wüste von dem Land, das den Israeliten versprochen worden war und von ihnen mit dem Reich des Himmels verglichen wurde. So wurde der Fluss zum christlichen Styx, besonders in der Literatur des Pietismus. Der Übergang über den Jordan ist gleichbedeutend mit dem Einzug ins verheißende Land des Friedens und wurde damit zum Symbol des Sterbens sowie des Lebens nach dem Tod. Der Teufel lockt das Volk in seiner zweideutigen Aufforderung „…springt fröhlich über die Elbe“. Der Flussname ist eine Referenz an den Ort der Uraufführung (und könnte gleichwohl angepasst werden).
„Nur eine halbe Stunde dauert das aus fünf Teilen…bestehende Werk“
Diese Feststellung nehme ich mal als Kompliment, da mein Oratorium bei Ihrem ersten Hören offensichtlich keine Längen erzeugte. Tatsächlich dauerte die Spielzeit knapp 40 Minuten.
„Auch seine Zitate von Liedern sind – soweit man diese kennt – sind allzu leicht aufspürbar und entheben eines tieferen Nachsinnens.“
Wer die Zitate kennt, darf gern auch einen plakativen Zusammenhang zwischen ursprünglicher Sinngebung und der Übertragung in das Oratorium wahrnehmen. Etwa bei der Kombination einer trügerischen Walzer-Idylle um die harmlose Tonfolge von „Im Märzen der Bauer“ oder der Übertragung von siegesbewussten Dreiklangsbrechungen bei „Die Wacht am Rhein“ in die babylonisch verworrene Aggressivität eines aufgehetzten Volkes.
Im Übrigen war ich als Komponist darauf bedacht, die verwendeten Melodien vor allem ihrer rein gestischen und Semantik halber, somit zunächst losgelöst von jedweder Wortzuordnung zu nutzen.
Ihre kritischen Einlassungen fasse ich als Anregungen auf und werde weiter über einen punktgenaueren Umgang mit allen Elementen nachdenken.
Für den Fall, dass mein Oratorium zu den Werken gehört, die Sie auch ein zweites Mal hören möchten, stünde Ihnen demnächst ein Konzertmitschnitt zur Verfügung.
Mit besten Grüßen nach Dresden und Hamburg!
Ihr
Willi Vogl
Lieber Herr Vogl,
inzwischen hatte ich Gelegenheit, einen Mitschnitt Ihrer wunderbaren Oratoriumsmusik zu hören.
Starke Texte, wahrlich berührende Klänge!
Wo gibt es das Werk nochmals live zu erleben?
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ursula Kiessling