Auftakt an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
Was 2013 noch ein erster Versuch war, hat sich dank reger Annahme schnell etabliert: die Dresdner Meisterkurse Musik (DMM). Sie verstehen sich übergreifend zwischen den Disziplinen, »Musik international – Musik interdisziplinär – Musik intermedial« sind nicht nur ein erklärender Untertitel, sondern im Programm verankert.
Am Montag eröffnete Prorektor Prof. Dr. Florian Uhlig die diesjährigen DMM unter dem Motto »WEG à WEISE ß R«. Der Pianist, seit zwei Jahren an der Hochschule, war auch am Rahmenprogramm (Robert Schumanns Phantasiestücke Opus 73 mit Klarinettistin Nicola Jürgensen) beteiligt, welches maßgebend von Prof. Emil Rovner (Violoncello) und Alla Ivanzhina (Klavier) gestaltet wurde. Sie begannen den Abend mit einem Postludium (!), was Provokation und Anreiz sein sollte, sich zu öffnen, vom gewohnten abzuweichen, bekanntes neu zu sehen. Robert Schumanns Intermezzo aus der FAE-Sonate setzten sie diesen Trend gegen das gewohnte fort – Cello statt Violine, und auch der Abschluß des Abends, Rossinis »Figaro-Paraphrase« brach mit dem spielenden und singenden Cellisten aus dem üblichen Rahmen heraus. Da erschien Rebekka Hartmanns Chaconne aus Johann Sebastian Bachs Partita d-Moll als ruhiger Ankerpunkt –althergebrachte Grundlagen werden bei den DMM keineswegs vernachlässigt oder gegen den Strich behandelt.
Sich auf neues einzulassen, sich öffnen ist eine wesentliche Grundlage, Erfahrungen zu sammeln. In seinem Festvortrag »Wanderschaft – und Staunen. Vom Umgang mit Musik heute« erinnerte Prof. Dr. Jörn Hiekel an die Besuche Helmut Lachenmanns an der Musikhochschule und an dessen Ausspruch (anläßlich der Einstudierung seines Stückes »Klangschatten – mein Saitenspiel« im vergangenen Jahr mit dem Hochschulsinfonieorchester), nicht »wie Orchestermusiker« zu spielen. Was zunächst nach Widerspruch klingt, schafft einen Reibungsimpuls, öffnet. Neuentdeckung und eine kritische Sicht der Gewohnheiten sind wesentlich für Musiker, egal, ob sie sich mit Werken der Vergangenheit oder der Gegenwart befassen. Der überraschungsfreie Umgang mit Musik dagegen sei fatal, so Hiekel. Das weiß nicht nur Helmut Lachenmann, das haben schon Robert Schumann und Nikolaus Harnoncourt erfahren und vorgelebt. Das Neuentdecken, das Staunen gehöre zwingend zum Wandern, wie es der Winterreisende bei Schubert zum Beispiel erfährt. Das Staunen beim Wandern sei geradezu existentiell, so Hiekel, weshalb die Metaphorik nicht nur für die diesjährigen DMM als Thema gewählt wurde, sondern gleichzeitig als eine Art Jahreslosung gelten soll. Staunen will gelernt sein, das wissen nicht nur Wanderer, sondern auch Philosophen – und eben Künstler. Denn: nicht der Entspannung und Unterhaltung allein soll die Musik dienen, sie birgt vor allem die Möglichkeit es Erkenntnisgewinnes.
Zur zweiten Auflage der DMM 2014 mit dem doppelbödigen Titel »Macht Musik!?« waren Nils Mönkemeyer, Jan Vogler und Thomas de Maizière an der Hochschule zu erleben. Friedrich Schorlemmer hielt damals einen bemerkenswerten Gastvortrag mit dem Titel »Was Musik mit uns macht – Erfahrungen«. Im vergangenen Jahr folgten die DMM dem Motto »Ton-Art-Sprache«, nun heißt es »WEG à WEISE ß R«. Das Wortspiel greift das letzte Gedicht Wilhelm Müllers aus Franz Schuberts »Winterseise« auf, kann in die Zukunft weisen, eine Richtung vorgeben. Was zunächst noch etwas sperrig, akademisch, theoretisch klingt, wird den Studenten hoffentlich auch Inspiration sein – die kommenden Tage und Konzerte werden es zeigen.
Am zweiten Tag der DMM gab einen Gesprächsabend. Vorträge oder Diskussionen über die Grenzen des musikalischen hinaus gehören fest ins Programm der DMM. Diesmal hatten Florian Uhlig und Prof. Dr. Hans-Christian Jabusch den ehemaligen Skispringer und -flieger Sven Hannawald eingeladen, um mit ihm »Von Winterreisen und Höhenflügen« Verbindungen zwischen Spitzenmusikern und Spitzensportlern zu suchen.
Obwohl das Konzert – meist zumindest – kein solcher Wettkampf ist wie ein Sportereignis, gibt es doch zahlreiche Parallelen, vor allem hinsichtlich des frühen Beginns einer Karriere, der Disziplin, der Spezialisierung, aber auch der Risiken, dabei Fehler zu begehen, abzustürzen, auszubrennen. Angst hat für jeden von uns einerseits eine Schutzfunktion (die Überleben sichert), sie kann deshalb aber auch (Leistungen) blockieren. Ob Sportler oder Musiker – in beiden Fällen kann das Überwinden der Angst zu neuen, besonderen Leistungen führen. Jedoch nicht durch Ausblendung, also durch ein Abschalten der Sicherheitsfunktion, sondern durch das systematische Herantasten an Grenzen – Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln schafft hier die Grundlage. Während Ehrgeiz und Perfektionismus eine gefährliche Kombination darstellen können (Hannawald), liegt der Schlüssel zum Verständnis und damit die Voraussetzung für ein erfolgreiches Sportler- bzw. Künstlerleben gerade in der Fehlertoleranz und Fehlerfreundlichkeit – Fehler zu erkennen und damit umzugehen lernen gehört eben auch dazu.
31. August 2016, Wolfram Quellmalz