Pekka Kuusisto und die Junge Deutsche Philharmonie in der Dresdner Frauenkirche
Vermutlich war Beethovens »Eroica« im Programm einem »Sicherheitsgedanken« entsprungen, sollte als Publikumsmagnet wirken. Wirklich schlüssig war die Programmauswahl nach Haydns »Trauersinfonie« und György Ligetis Konzert für Violine und Orchester nicht. Denn nach Ligetis Ohrenöffner hätte eine sinfonische Dichtung oder ein Werk mit nordischer Weite besser gewirkt als das imposante Revolutionswerk. Vielleicht war es aber auch zur puren Freude der jungen Musiker gedacht, die hier eines der ganz großen Werke der klassischen Literatur spielen durften –Beethoven’schen Impetus hatten sie allemal! Dirigent Jonathan Nott, der nach der langen und erfolgreichen Zeit bei den Bamberger Symphonikern (2000 bis 2016) Chef des Orchestre de la Suisse Romande und auch künstlerischer Berater der Jungen Deutschen Philharmonie ist, ließ das Orchester den Eroica-Sturm scharfkantig und flammend aufblitzen, mit über den Streichern liegenden, klaren Bläser – wunderbar! Immer wieder vermochten gerade die Bläser, Akzente zu setzen. Aber auch dem schlichten, verinnerlichten Gedanken verlieh Nott Flügel, wie etwa im vierten Satz, als er dem Quartett der Stimmführer die Durchführung des Themas überließ.
Vollkommen anders hatte da noch Haydn zu Beginn des Konzertes gewirkt. In voller Besetzung war dieser zu laut, zu mächtig, jeder dynamische Wechsel versank im Nachhall. Hier gingen die meisten Nuancen verloren, dem Menuett haftete sogar etwas behäbiges (!) an, und das Presto überzeugte allenfalls mit jugendlicher Verve. Warum der Dirigent hier nicht eine kleinere Besetzung gewählt hatte, bleibt unverständlich. Bei Beethoven paßte sie jedoch, geradezu formidabel war die Klangentfaltung, nicht die kleinste Trübung war zu spüren, trotz Kirchenakustik! Und dabei war das Orchester strenggenommen sogar erweitert, denn an einem hinteren Pult der ersten Geigen hatte der Solist des Abends, Pekka Kuusisto, platzgenommen.
Womit wir beim Hauptwerk angekommen wären – wer hätte das gedacht: Ligeti! Der mit vielen Nationalitäten behaftete und die Sinne verbindende Komponist war eine der schillerndsten Musikerpersönlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts. Sein fünfsätziges Violinkonzert ist breitflächig (auch im Sinne der Ligeti’schen Klangflächen), vielschichtig, läßt viele Klangfarbfacetten durchschimmern und ist eine ungeheure Bereicherung der Konzertlandschaft. Einfach ist es keineswegs – im Gegenteil. Denn György Ligeti arbeitet mit Schwebungen, Klangverschiebungen, setzt dem Violinisten nicht nur viele Schlagwerke entgegen, sondern in der Tonalität und Stimmung versetzte Instrumente wie Okarinas. Sogar zwei der Orchesterstreicher spielen rein gestimmt statt in der üblichen Wohltemperiertheit.
Was daraus erwächst ist ein Werk voller Farben und Schattierungen, das vom Violinhauch und der Schönheit der Arie bis hin zu dissonanten Expansionen reicht. Je weiter das Werk fortschreitet, desto öfter enden Teile im Crescendo. Und als ob dies nicht genüge, spielt Ligeti mit der barocken Formsprache, schafft mit Orchesterinstrumenten die Illusion eines Orgelklanges (Beginn der Passacaglia). Das klingt viel, klingt kompliziert? Ist es auch! Um so bemerkenswerter, daß es Solist, Orchester und Dirigent verstanden, dieses Werk »zünden« zu lassen. Beeindruckend war die innige Verbundenheit von Pekka Kuusisto mit den Jungen Philharmonikern, betörend sein klarer, weicher Violinton, der voll Tiefe und Seele schien – so lassen sich auch Dissonanzen vermitteln, gibt es Zuspruch auch dann, wenn ein Werk nicht immer »schön« ist. Dafür gab es vom Publikum viel Beifall, viel mehr als höfliche Leistungsanerkennung, mehr als mancher vielleicht erwartet hatte. Ganz klar: Ligeti war der Stern dieses Abends.
Die Verbundenheit von Solist und Orchester zeigte sich übrigens nicht nur in der Tutti-Beteiligung bei Beethoven, sondern auch in der Erarbeitung des Violinkonzertes. Im dritten Satz gibt es, verriet Pekka Kuusisto in der Pause, ein absteigendes Glizzando, das eine Assoziation fallender Bomben heraufbeschwören könnte – nicht bedeutungslos an einem wiederaufgebauten Ort wie der Frauenkirche. Die jungen Musiker schärften und entschärften diese Passage: Ligeti versagt den Bomben nämlich den Einschlag – ein musikalischer Hoffnungsschimmer.
Für sein glänzendes Spiel bekam Pekka Kuusisto großen Applaus von Publikum und Orchester. Dafür gab es als Zugabe Bach – nein, nicht einfach eine Gavotte oder Sarabande. Pekka Kuusisto improvisierte über Bachs Choral »Christ lag in Todesbanden«, den er eine Quint tiefer dahin versetzte, wo die berühmte Chaconne beginnt. Die Violine und ein paar der Orchesterstreicher dienten dabei nur als Begleitung, denn Pekka Kuusisto spendete dem Choral seinen Atem und gab ihn pfeifend wieder.
Bei solch exquisiter Verlebendigung der Neuen Musik hätte man auf Beethoven beinahe verzichten können. Eigentlich schade, daß dem Konzert nicht durch eine Radioübertragung oder Aufnahme noch mehr Nachwirkung gegönnt war. Für die meisten Besucher dürfte es eine Sternstunde gewesen sein.
18. September 2016, Wolfram Quellmalz