Bryn Terfel macht aus dem Lieder- einen Szenenabend
Nein, einen intimen Liedgestalter hatte am Mittwochabend im Konzertsaal des Kulturpalastes wohl niemand erwartet. Der walisische Baßbariton Bryn Terfel rückte zunächst Weisen aus seiner Heimat in den Mittelpunkt – in einer für uns unverständlichen Sprache. Wie wollte man das Wort »cwsg«, das eher wie eine Abkürzung aussieht (ist es nicht) aussprechen, geschweige denn singen? (Ganz einfach eigentlich, es kling so ähnlich wie »koosk« und heißt »schlaf«.) Bryn Terfel verband Konsonanten und Rachenlaute zu Liedern, Theaterstücken eigentlich. Denn statt in sich gekehrten Texten und verinnerlichter Einfachheit waren es vor allem Balladen, Schauermärchen, Romanzen und Liebeserklärungen, die der Baßbariton darbot.
Terfel ist ein »Bühnentier« – jedes Lied war ein Auftritt und Eugene Asti nicht nur Klavierbegleiter, sondern Spielpartner, der Blicke erwidern, antworten, Blumen herschenken mußte. Selbst den Flügel nutzte der Sänger als Requisite, als wäre es der Kaminsims in einem walisischen Heim. Den Saal füllte er mühelos mit seinem Gesang, kernig, sonor und lachend, denn Terfel ist kein »bad boy«, er spielt ihn – und das macht Spaß. Er schlüpfte – mit Vergnügen – in Rollen, füllte sie aus, dramatisch, farbig, schlug eine Brücke zwischen Kunst- und Volkslied. Auf seinem Programm standen Komponisten wie Idris Lewis, Meiron Williams oder Frederick Keel – hierzulande kaum bekannt.
Temperament und Energie allein machen die Kunst des Gesanges nicht aus. Auch für intime, sehnsüchtige und tragische Momente sorgte der Waliser, wie in »Sul y Blodau« des Landsmannes Owen Williams, das die Trauer um ein verstorbenes Kind beschreibt. Bryn Terfel wollte eigentlich Arien singen, aber sein erster Lehrer Arthur Reckless hatte es ihm aber verboten – genau solche Lieder mußte er zunächst lernen. Terfel hat sie nicht nur erlernt, er hat sie verinnerlicht.
Mit Jacques Ibert stand vor der Pause der erste bekannte Komponist auf dem Programm, seine »Chansons de Don Quichotte« griffen ebenso volkstümliches auf. Ob überreiches Stimmvibrato oder die süße Anschmachtung der Dulcinea – hier war jeder Effekt an eine Szene gebunden, die Terfel lebendig werden ließ. Und Eugene Asti gestaltete mit, wie im Nachspiel des »Chanson de la mort« mit Gitarren-Imitation.
Bryn Terfel ist ebenso im Deutschen Lied zu Hause. Schumanns »Belsatzar«-Ballade, theatralisch ausgemalt, war ein großer Kontrast zu zwei lyrischen Liedern aus den »Myrten« Opus 25. Und mit fünf ausgewählten Liedern Franz Schuberts zeigte der Waliser, daß der Text eben durchaus vor dem Spiel kommen kann. Mit tiefem, goldenem Timbre lotet er Schubert aus, blieb aber ein Schelm, als er mit Heine eine Stelle suchte, den Kahn mit dem Fischermädchen an Land zu treiben.
Den Sänger, Spieler, Komödiant ließ Bryn Terfel dann noch zweimal los, in Arien aus Gounods »Faust« und Boitos »Mefistofele«. Schluß? Noch lange nicht! Nach den Zugaben im Saal (Schubert / »Aller Seelen« und Jerry Bock / »If I were a rich man«), die Terfel – mit den Händen in den Taschen – auch einmal »dreckig« sang, gab er im Foyer noch geduldig endlos Autogramme, ließ Photos machen und war weiterhin zum Singen aufgelegt. Dann vor allem mit Mozart (»Là ci darem la mano«).
1. Juni 2017, Wolfram Quellmalz