Nachtrag: Gastspielreise der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Abschluß in Wrocław mit Mahler und Dvořák

Nach dem 11. Sinfoniekonzert im Haus der Staatsoper begab sich die Sächsische Staatskapelle auf Reisen und wiederholte das Programm im Brüsseler Bozar (7. Juni), dem Amsterdamer Concertgebouw (8.) und im Narodowe Forum Muzyki Wrocław (Nationalen Musikforum Breslau, 10. Juni). Mit dabei waren wie schon in Dresden Dirigent Daniel Harding und Bariton Matthias Goerne.

Auf dem Programmzettel standen Werke, die nicht allein Stimmungen folgten, naturalistischen wie seelischen. Dem pastellen Tongemälde von Gustav Mahlers »Blumine« und Antonin Dvořáks achter Sinfonie standen Mahlers »Kindertotenlieder« gegenüber, die vielschichtige Verarbeitung eines schmerzlichen Verlustes.

»Blumine« (Blumensammlung) hatte Gustav Mahler ein Musikstück genannt, das (bzw. seine erste Fassung) ursprünglich vermutlich Teil einer Bühnenmusik war, deren Entwurf bzw. Klavierauszug der Komponist aber zurückzog. Später fand das Material aber Eingang in die erster Sinfonie (»Titan«), wurde entfernt, wieder hinzugefügt. Letztlich blieb es beim viersätzig »gekürzten« Titanen, der auch ohne das ursprünglichen an zweiter Stelle stehende Andante allegretto trotzdem titanische Maße hat. Hin und wieder erklingt »Blumine« aber in Aufführungen einer Gesamtfassung der Sinfonie oder als Konzertstück, wie zur Eröffnung mit der Staatskapelle.

Daniel Harding, Music Director des Swedish Radio Symphony Orchestra und Chefdirigent des Orchestre de Paris (ob er Zeit gehabt hatte, sein Orchester bei dessen Gastspiel im Dresdner Kulturpalast zu besuchen?), ist der Kapelle durch Konzerte und Gastspielreise wohlvertraut. Im Narodowe Forum Muzyki Wrocław wurden beide schnell heimisch. »Blumine« mochte Daniel Harding wohl nicht in sachter Beschaulichkeit versinken lassen, so begann er das Werk mit spannungsgeladenem Tremolo. Doch war seine Spannung mehr unterschwellig als aufgesetzt, schien auf die latenten Seelenqualen, die Schichtungen von Verstand und Gemüt schon vorauszuweisen. Trotz üppiger Farben beschrieb die Staatskapelle ein Werk von luftiger Sinfonik, das vom Schweben, Anheben, Aufblühen gekennzeichnet ist. Je weiter es fortschritt, desto feiner gezeichnet waren die Einwürfe, am Ende verlosch Mahlers Satz mit sanften Harfenklängen.

Und dann kippte die Stimmung – oder nicht? Daniel Harding jedenfalls erfaßte die Ambivalenz von Seelenfrieden und Seelenruh, von Klage um die Toten und Erfüllungssehnsucht. Sie ist wohl in »Blumine« zu finden und vor allem in den »Kindertotenliedern«. Letztere sind vom tiefen Trauerschmerz des Dichters Friedrich Rückert gezeichnet, der innerhalb kurzer Zeit vier seiner Kinder verloren hatte. Seine Texte zeigen deutlich den Versuch, den Verlust zu verarbeiten, Abschied zu nehmen. Auch den »Kindertotenlieder« hat Mahler eine Leichtigkeit verliehen, eine tragende Sachtheit, auf die sich Texte und musikalische Illustrationen legen, die von Glöckchen, Harfe und Holzbläsern gezeichnet werden. Sie stehen wie kleine Lichter, Funken gegenüber einer großen Dunkelheit – gerade dieses Gegenüber gelang Daniel Harding beeindruckend. Die Staatskapelle und Matthias Goerne legen subtile Schichtungen offen, die beklommen machen und den Verlust eines Kindes formulieren – als stillen Schrei. Während sich dies emotional treffend und unmittelbar übertrug, blieb Matthias Goerne leider weitgehend unverständlich, vor allem in den ersten drei Liedern. Und selbst in den abschließenden dürfte es schwer gewesen sein, ohne Kenntnis des Textes die Botschaft zu erfassen, jedoch gewann der Bariton hier noch einmal an expressiver Kraft hinzu, schrie das Leid im fünften der Stücke »hinaus«, wobei er differenziert blieb.

Auch Antonin Dvořáks achte Sinfonie »malte« Daniel Harding, mit hohen Streichern, schwebend zunächst, aus denen er aber für einen stetig steigernden Jubel schöpft. Die Staatskapelle brachte pastorale Farben zum Leuchten – der Saal nahm sie dankbar auf. Idyllisch ist Dvořáks Sinfonie ebenso, wie sie slawische Motive oder einen Choral einschließt. Manchem ist diese Vielfältigkeit und Vielgliedrigkeit zu viel, vor allem der letzte Satz droht oft zu bersten. Um hier einem großen Tosen zu entgehen, hilft ein gesundes Maß – Daniel Harding hat es gehalten. So war es vor allem die Leuchtkraft der Farben, die hier beeindruckte, ein romantisches Allegretto grazioso ließ sich wunderbar auskosten. Spannung bis zum letzten Takt, von einem aufmerksamen Publikum verfolgt, das sich anschließend begeistert zeigte.

12. Juni 2017, Wolfram Quellmalz

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