Quattrovaganti spielte Mozart und Čakrt

Tschechisch-Deutsche Kulturtage mit deutscher Erstaufführung am Wochenende

Das Quartett Quattrovaganti mit Musikern der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz spielte im Landschloß Pirna-Zuschendorf (Sonnabend) und auf Schloß Klippenstein in Radeberg Quartette von Wolfgang Amadeus Mozart und Michael Čakrt. Michael Čakrt – noch nie gehört? Das verwundert kaum, denn der 1924 in Brünn geborene Musiker, Musiklehrer, Organist und Komponist ist heute beinahe vergessen. Für die Violinistin Adela Drechsel war es jedoch eine Herzensangelegenheit, den 1997, also vor zwanzig Jahren, in ihrer Heimatstadt Trutnov verstorbenen Musiker dem Vergessen zu entreißen.

Schon früh wurde das Talent von Michael Čakrt erkannt, er galt aus ausgezeichneter Schüler, im praktischen Musizieren ebenso wie in Musiktheorie. Doch mit dem Machtwechsel 1948 wurde nicht nur sein Studium zwangsweise beendet, auch Prag mußte er verlassen. Es war der erste und wesentliche Bruch in Michael Čakrts Lebenslauf, bei weitem nicht der einzige. Statt eines Lebens als Musiker und Komponist mußte er als Religions- und Musiklehrer an kleinen und noch kleineren (Musik-)Schulen arbeiten.

Trotz des Sturmwetters am Sonntag – eine stimmungsvolle Umrahmung des späten Nachmittages – hatten sich viele Konzertbesucher zum Schloß Klippenstein nach Radeberg gewagt, neugierig, was es zu hören gäbe, denn: wie Michael Čakrts Musik klingt, hat außer den Musikern vorher wohl niemand gewußt (auch der Rezensent nicht).

Zunächst gab es jedoch Mozarts Quartett in d-Moll, ein Lieblingswerk von Michael Čakrt. Es gehört zu jenem halben Dutzend der Joseph Haydn gewidmeten Werke. Nummer 421 im Köchelverzeichnis, das einzige Quartett Mozarts in einer Moll-Tonart, ist der Schilderung seiner Frau Constanze nach entstanden, während sie »in Kindesnöthen lag«, Menuett und Trio sollen gar während der Entbindung entstanden sein. (Das Kind, Raimund Leopold, wurde nur wenige Wochen alt.) Trotz der Trauertonart ist Mozarts Werk jedoch kein tragisches geworden. Vielleicht stand ihm das enge Beieinander von Freud und Leid vor Augen, daß jeder neue Erdenbürger auch ein Nachfolger für (mindestens) einen gegangenen ist (die Mutter Anna Maria war fünf Jahre zuvor in Paris verstorben)?

Quattrovaganti (außerdem Ovidiu Simbotin – Violine, Sebastian Mickelthwate – Viola und Rolf Müller – Violoncello) hatten für das Werk Instrumente mit Darmsaiten mitgebracht. Eine goldrichtige Entscheidung, denn die mit ihnen erreichte Farbigkeit tat wohl. Die weichere Stimmfärbung und größere Emotionalität eröffnete gerade solche Höreindrücke, melancholische Erinnerungen und heitere Einwürfe zu assoziieren. Das Andante schien denn eine Frage zu formulieren, was die Zukunft bringen werde – die Antwort (Menuetto) fiel zuversichtlich aus. Mozarts Streichquartette werden manchmal (zu Unrecht) nicht so stark wahrgenommen wie seine Opern oder Sinfonien oder die dramatischen Gattungsbeiträge eines Ludwig van Beethoven. Doch gerade Mozarts Quartette sind von großer Innigkeit, fast Zärtlichkeit, aber auch Witz (oder ist es Haydn‘scher Schalk?) gekennzeichnet. Der zweiten Violine (bei diesem Stück Ovidiu Simbotin) hatte Mozart manchen raffinierten Effekt aufgetragen, so die Pizzicato-Antwort auf die erste Stimme im dritten Satz oder an ein französisches Akkordeon erinnernde Arabesken im vierten.

Interessant war die Sitzordnung des Quartetts: Beispiele, sitzend oder stehend zu spielen, gibt es ebenso viele wie solche, welche die Plätze von Viola und Violoncello (außen oder Mitte) tauschen. Die beiden Violinstimmen jedoch einander gegenüberzusetzen (wie heute im Orchester wieder üblich), wird zwar manchmal diskutiert, aber selten praktiziert. Quattrovaganti haben gezeigt, wie reizvoll es sein kann, wenn der Gedanke einmal umgesetzt wird.

Nach der Pause tauschten dann Adela Drechsel und Ovidiu Simbotin (Primarius von Quattrovaganti) ihre Positionen. Aus dem Œuvre Michael Čakrts erklangen »Volné chvíle« (Freie Stunden) und das Quartetto – beide Werke hat der Komponist vermutlich selbst nie gehört. »Volné chvíle« ist ein Zyklus von vier Bildern, der »Unterwegs«, »In den Bergen«, »Auf der Kurpromenade« und »In der Großstadt« beschreibt. Ganz malerisch ließen die vier Musiker (nun auf modernen Instrumenten) diese Welten entstehen, auch hier gelang das Assoziieren leicht. Fast »vagabundisch« klang schon der erste Satz, als würden vier Wanderer singen, die Stimmen nacheinander einsetzen, das gemeinsame Thema aufgreifen und in verschiedenen Tonhöhen ausspinnen, während danach die Schroffheit und Kälte in der rauhen Welt der Berge greifbar schien. Dem folgte ein Umschwung – auf der Promenade war das Wetter offenbar deutlich freundlicher, bevor die vier Vagabunden über die Großstadt staunten.

Daß Michael Čakrt Organist gewesen ist, läßt sich manches Mal an der Stimmführung seiner Quartettkompositionen ablesen (bzw. vermuten). Was sich jedoch nicht ablesen läßt, sind Entbehrung oder Schmerz. Anders als viele Komponisten hat Michael Čakrt die Brüche in seinem Lebenslauf offenbar nicht in Noten umgesetzt, dafür sind seine Werke jedoch von Sehnsucht erfüllt. Ganz ohne eine Bildsprache erklang Quartetto, dafür reich an Gefühlen und Motiven, die sich verdichteten, entspannten, Stimmungen zeichneten. Das Andante lirico ist von Wehmut gekennzeichnet – die Wehmut des Erinnerns oder des nicht Eingetretenem? Mit einem Allegro assai schließt das Quartett. Es schien, als sei dies eine positive Lebensbejahung, ein getriebener blieb Michael Čakrt jedoch, wie eine ausgeprägte Rhythmik und Pizzicati vermuten lassen.

Zwei Aufführungen können wohl nicht einen vergessenen Komponisten etablieren, aber sie können zur Wiederentdeckung beitragen. Und das lohnt allemal, fanden auch die Zuhörer. Mit dem zweiten Satz aus dem Quartettino in Re verabschiedeten sich Quattrovaganti vom Publikum.

30. Oktober 2017, Wolfram Quellmalz

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