Fazıl Say schloss seine Residenz bei der Philharmonie mit Klavierabend ab
Es war der dritte und bereits letzte Abend mit Fazıl Say bei der Dresdner Philharmonie. Nach zwei Uraufführungen im Rahmen von Sinfoniekonzerten im August und März kehrte der Komponist nun als Pianist in den Kulturpalast zurück. Den Komponisten ließ er trotzdem nicht »zu Hause«, denn mit »Yürüyen Kösk« gab es auch ein Werk aus seiner eigenen Feder.
Doch zunächst standen drei Nocturnes von Frédéric Chopin und Ludwig van Beethovens »Appasionata«-Sonate auf dem Programm. Fazıl Say beschwor im stark abgedunkelten Kulturpalast, in einem blauen Lichtkreis sitzend, den Zauber von Chopins schwebenden Klängen. Übermäßig viele und laute, ungedämpfte Huster irritierten (nicht nur) ihn dabei jedoch merklich – soll ein Musiker die Reihenfolge seiner Stücke etwa an solchen Mißlichkeiten statt an künstlerischen Erwägungen ausrichten und mit etwas Lautem beginnen?! Kaum weniger ärgerlich: Das Farb- und Saallicht wurde gedämpft, erhellt, wieder zurückgenommen, je nachdem, ob der Pianist die Bühne betrat, am Klavier saß oder den Raum verließ. Ein Beitrag zum Konzerterlebnis sind solche Spielereien freilich nicht. Als Fazıl Say sich nach der Pause ans Publikum wenden wollte, um den zweiten Teil des Abends zu retten und um mehr Stille bat, fand sich dagegen niemand, der das Mikrophon aktivieren konnte. Glücklicherweise ist die Saalakustik so gut, daß man Fazıl Say trotzdem verstand.
Und der war, um zur Hauptsache zurückzukehren, ein Erlebnis. Das ist durchaus auch optisch und in Erweiterung gemeint, denn Fazıl Say beschränkt seine Beweglichkeit nicht auf Hände oder Finger, er wendet sich immer wieder dem Publikum zu, schließt Sätze oder Passagen mit großen Gesten, als öffne er einen Vorhang oder führe ein Zauberkunststück vor (was ja so falsch nicht ist). Einen eruptiven Impuls findet man oft bei ihm, natürlich auch bei Ludwig van Beethovens »Appasionata«. Nach sachtem Beginn entlud sich die Sonate f-Moll Opus 57 fast explosionsartig. Trotzdem vermied der Pianist dabei einen allzu ruppigen Impetus, ließ dem Andante con moto viel Freiraum und gesangliche Weite, um hernach das Finale im Sturm zu erobern – »hier bin ich« schien er da zu rufen.
Temperament machte sich immer wieder Luft, seine Impulsivität ließ der Pianist rhythmisch-melodisch in die Musik münden. Dabei stampfte er zuweilen ebenso mit dem Fuß wie er hörbar mitsang. Trotzdem wirkte das nicht aufgesetzt, sondern gab den Stücken eine große Freiheit und Authentizität. Geradezu zauberisch gerieten nach der Pause Eric Saties »Gnossiennes«, die – nun, mit mehr Ruhe im Saal wohl auch zur eigenen Zufriedenheit, eine entzückende Einfachheit offenbarten und sich bis in eine orientalische Tonalität öffneten – Fazıl Say erzählt sie wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht mit eleganter Beiläufigkeit.
Und kam schließlich selbst zu Wort. »Yürüyen Kösk« (zu deutsch »Das verschobene Haus«) ist keine lautmalerische Hausverschiebung, sondern vielmehr von einem erzählerischen Gestus geprägt, schließt musikalische Ornamentik ein und steigert sich mehrfach in toccataartigen Läufen. Doch der Donner löste sich immer wieder feingliedrig auf, das Werk gewann an Leichtigkeit und improvisatorischem Charakter und schien zu Frédéric Chopins Nocturnes vom Anfang zurückzukehren.
Eines dieser Stücke (cis-Moll, Opus posthum) wiederholte Fazıl Say schließlich in seinen Zugaben. Doch vor allem bewies er hier noch einmal seine rhapsodische Fabulierlust, sein Improvisationstalent und seine unbedingte Musikalität.
26. April 2019, Wolfram Quellmalz