Lange Nacht der Kammermusik

Moritzburg Festival mit einem weiteren Höhepunkt der Akademisten

Mit der traditionellen »Langen Nacht der Kammermusik« und den dazugehörigen Publikumspreisen ging das Moritzburg Festival für die Akademisten am Donnerstag in der Evangelischen Kirche Moritzburg zu Ende. Auf dem Programm standen noch einmal fünfzehn Werke, vor allem von Komponistinnen. Vieles dürfte für die meisten Besucher neu gewesen sein, denn manche Musik wurde dem Vergessen entrissen, zwei Stücke waren sogar recht oder ganz neu. Franz-Joseph Labmayr (Klarinette), Tetsuro Yamada (Fagott) und Daiki Kato (Klavier) sorgten mit Caroline Boissier-Butinis (1786 bis 1836) Divertimento & Rondeau »à la polacca« sogar für eine deutsche Erstaufführung. Der japanische Pianist war übrigens der einzige im Feld (die Anzahl der Akademisten und ihre Zusammensetzung richtet sich nach dem Repertoire der Orchesterstücke, weshalb nur ein Platz für das Klavier vorgesehen ist) und kam zu gleich fünf Einsätzen an diesem Abend. Dabei bewies er enormes Einfühlungsvermögen – und das beginnt beim Öffnungswinkel des Klavierdeckels. Halb offen war oft besser und erlaubte mehr Abstufungen, mehr Geschmeidigkeit, mehr »Samt«. So trug er mit Mélanie Hélène Bonis‘ »Scénes de la Fôret« (»Szenen aus dem Wald«) zu einem weiteren Höhepunkt bei. Hornistin Bélen Ureña Peñalva sorgte dabei nicht nur durch Stopftechnik für passende Stimmung, sondern schenkte noch durch Körperdrehung und Richtung des Schalltrichters der Musikentfaltung Beachtung. Die erste Stimme hatte Bonis der Flöte zugeschrieben, mit welcher Hannah Tassler den Raum in Schwingungen versetzte und das Publikum entzückte. Für sie war es wie für viele nicht der einzige Beitrag. Auch wenn es nicht immer gleich fünf Auftritte waren, fanden viele in verschiedenen Ensembles zusammen.

Amelia Dietrich hatte schon zum Proschwitzer Picknick beeindruckt. Gestern war sie eine doppelte Gewinnerin, denn als Primaria erhielt sie sowohl für Fanny Hensels Streichquartett Es-Dur (Kategorie 19. Jahrhundert, mit Marina Alba López Sánchez / Violine, Joshua Cai / Viola und Lydia Rhea / Violoncello) wie für Luigi Boccherinis Streichquintett F-Dur Opus 39 Nr. 2 (18. Jahrhundert, mit Emilia Sharpe / Violine, José Nunes / Viola, Lena Schulz / Violoncello sowie Ana Claudia Machicado Torres / Kontrabaß) Preise.

Über Zusammensetzungen konnte man an diesem Abend übrigens trefflich reflektieren, denn das Streichquintett kennt neben »deutscher« (zwei Violen) und »italienischer« (zwei Celli) Besetzung eben noch jene mit Kontrabaß. Auch Luise Adolpha le Beaus Quintett e-Moll Opus 54 folgt diesem Beispiel. Gemma Lee und Polina Sharafyan (Violinen), José Nunes, Lena Schult (Violoncello) und Thomas Lai (Kontrabaß) bewiesen mit ihrer Aufführung ein hohes gemeinsames Verständnis – sie hätten ebenso einen Preis verdient gehabt.

Gemma Lee war trotzdem Preisträgerin, denn in der (vom Veranstalter etwas großzügig gefaßten, da nicht alle Komponisten oder Werke dahin so genau »trafen«) Kategorie des 20. / 21. Jahrhunderts. »Blue print« der 1982 geborenen amerikanischen Komponistin Carolin Shaw überraschte mit Schwebungen und spielte mit Elementen der Verfremdung. Wer das Werk bereits zum »Picknick« gehört hatte, konnte feststellen, daß die Interpretation von Rannveig Marte Sarc (Konzertmeisterin der Akademie), Gemma Lee, Joshua Cai sowie Lydia Rhea noch erheblich »gewachsen« war!

Am Ende der fast vier Stunden Musik konnte sich Festivalintendant Jan Vogler über den bisher besten Publikumszuspruch freuen – so viel Besucher hatte die »Lange Nacht« noch nicht gehabt! Da fiel es leicht zu verschmerzen, daß er nicht gleich die Sorte des diesjährigen Festivaleises kannte. (Heidelbeere, nicht Johannisbeere, aber wer kommt schon wegen des Eises nach Moritzburg?)

Die 37 Akademisten 2019 kamen aus sechzehn Ländern. Neben traditionell stark vertretenen wie den USA oder Spanien waren Bolivien, Indonesien und Armenien mit dabei. Der Anspruch des Festivals ist es, jeden zu unterstützen, der es in die Auswahl schafft, ganz unabhängig von dessen Herkunft – sowohl geographisch wie die monetären Voraussetzungen betreffend. Daß dies mit Hilfe des Freundeskreises sowie zahlreicher Spender gelingt, ist mehr als löblich! Über 500 Bewerbungen lagen für dieses Jahr vor, mit Josep Caballé-Domenech gibt es mittlerweile einen festen Festival- und Akademie-Dirigenten. Man darf also gespannt sein – auf die Neuauflage 2020 ebenso wie auf den weiteren Weg der Akademisten.

16. August 2019, Wolfram Quellmalz

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