Startenor Joseph Calleja und ein fabelhaftes Sängerensemble verzaubern Dresdens »La bohème«
Eigentlich fragt man sich bei dieser noch für das Große Haus gemachten Inszenierung von 1983 (!), wann die Requisiten auseinanderfallen. Und selbst ohne Blick auf die mögliche materielle Hinfälligkeit wäre eine neue Fassung von Giacomo Puccinis Klassiker für Dresden doch wünschenswert. Doch so oder so – auf ein »La bohème geht immer« möchte man sich nicht einlassen, nicht einmal als hübsches Dessert nach den Feiertagen (immerhin hat das Stück im Gegensatz zu mancher Märchenoper tatsächlich einen Weihnachtsbezug). Die Wieder- und Weiterbelebung von Spielleiterin Gunda Mapache (nach Christine Mielitz) gelang Angang Januar recht überzeugend. Mit bis zu vier verschiedenen Sängern werden die Rollen in den acht Vorstellungen dieser Spielzeit besetzt. Stephen Costello war im September der gefeierte Rodolfo, ihm folgt nun der aus Malta stammende Joseph Calleja.
Sein Semper-Debüt war es allerdings nicht, schon 2012 konnte man ihn als Sänger im »Rosenkavalier« erleben – indes nicht mehr als ein Stargastauftritt. Mit dem Rudolfo darf Calleja nun den ganzen Abend auf der Bühne bleiben, gestalten und singen und tat dies auf einnehmende Weise. Sich seiner Ausstrahlung wohl bewußt, drehte er sich denn auch für »Che gelida manina« (Wie eiskalt ist dies Händchen) leicht zum Publikum. Callejas Repräsentationskraft war schon bestechend und beeindruckend, mitunter überhöht. Daß der Tenor dabei zuweilen mit spürbarer Anstrengung sang, lag allerdings wohl vor allem am Dirigat Pietro Rizzos, der das Orchester teilweise rücksichtslos laut spielen ließ und seine Augen mehr im Graben als auf der Bühne hatte. Manche der Szenen, gerade mit der schwindsüchtigen Mimì (Iulia Maria Dan), waren durchaus angemessen leise, aber wohl eher, weil es dem musikalischen Verständnis des Dirigenten entsprach – ein Eingehen auf die Sänger und eine Feinabstimmung vermißte man.
Daß der Abend trotzdem gelang, war vor allem dem Ensemble anzurechnen, das den Startenor in seine Reihen aufnahm – Calleja ließ sich offenbar gerne aufnehmen, ohne über den anderen zu schweben.
Mimì litt in Schönheit, hauchte aber noch mit vergehender Kraft eine glühende, hingebungsvolle Liebe aus – Iulia Maria Dan verfügt über ein wunderbar weiches Timbre, mit spielerischem Geschick verlieh sie ihrer Rolle Glaubhaftigkeit. Rudolfo liebte mit ebensoviel Hingabe, Callejas atemvoller Entsetzensschrei angesichts Mimìs Tod rührte zu Tränen.
Nicht weniger gefühlvoll geriet das Paar Musetta – Marcello. Julia Muzychenkos schillernder Sopran und Sebastian Wartigs durchdringender Bariton waren ein prächtiges Pendant unter den Paaren, vor allem aber sprühte ihre Leidenschaft – noch im Streiten.
Die Lust am Stück steigerte sich nicht zuletzt, weil die Szenen den Arien übergeordnet blieben. Das galt für Rudolfo und Mimì ebenso wie für die Künstler-WG (außerdem Lawson Anderson als Schaunard und Martin-Jan Nijhof als Colline). Mit Hans-Joachim Ketelsen als Hauswirt, Bernd Zettisch als einem der Liebhaber Musettas und Frank Blümel als Händler waren auch die so wichtigen Nebenrollen edel besetzt. Der Chor (Jan Hoffmann) und Kinderchor stattete die Szenen auf dem Pariser Weihnachtsmarkt bunt und lebhaft aus.
4. Januar 2020, Wolfram Quellmalz
Giacomo Puccini »La bohème«, noch am 25. und 31. Januar mit Joseph Calleja als Rudolfo, weitere Vorstellungen im März und April