Landesbühnen Sachsen streamen »Inselzauber«
Zwei Kurzopern oder Einakter zu kombinieren ist ein beliebtes Konzept der Theater. Dabei kann man verschiedene Bezüge schaffen – musikalische, thematische – kann Kontraste schärfen oder Details fokussieren. Die Auswahl an Einaktern und anderen Werken ist dabei durchaus groß und bietet weit mehr als nur Abende mit »Cavalleria rusticana« und »Pagliacci« (oder umgekehrt). Die Landesbühnen Sachsen hatten im Herbst aus Jacques Offenbachs »Die Insel Tulipan« und Leonard Bernsteins »Trouble in Tahiti« das abendfüllende Programm »Inselzauber« kreiert. Die Werke könnten unterschiedlicher kaum sein: Offenbach hat mit »L’île de Tulipatan« ein Lustspiel, eine Operette geschaffen, die mit Zitaten spielt, gern um zeitvergeistigte Couplets ergänzt wurde und eine heitere, fröhliche Satire darstellt. In Bernsteins Werk mag man auch Mittel der Satire finden, doch ist es deutlich kritischer angelegt, im Vergleich mit Offenbach weniger heiter. Später hat Bernstein diesen Trend übrigens noch verstärkt, als er sein Werk als Rückblende für seine dreiaktige Oper »A quiet Place« verwendete (von uns 2015 erlebt bei den Dresdner Musikfestspielen mit Kent Nagano / Leitung und dem Ensemble Modern, zu finden in Heft 17).
DIE WERKE
In beiden Werken geht es – ganz unterschiedlich – um Familienbeziehungen. Herzog Cacatois XXII. (»Die Insel Tulipan«) hat bereits zwei Töchter, sehnlich wartet er auf einen Sohn, der das Geschlecht weiterführen soll. Zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes weilt der Herzog gerade im Ausland. Es ist – wieder ein Mädchen. Die Angehörigen des Hofes wie die Ehefrau fürchten den Zorn Cacatois XXII. und geben das Mädchen als Knaben aus. Théodorine wiederum, die Gattin des Großseneschallen Romboidal, bringt einen Sohn zur Welt, hat jedoch angesichts der ständigen Kriege Angst, daß er zum Heer eingezogen wird und im Kampf sterben könnte, so gibt sie ihn als Mädchen aus. Einige Jahre geht das gut … (Den Ausgang muß man nicht verraten.)
Ganz anders in »Trouble in Tahiti«: Dinah und Sam sind seit langem ein Paar, haben ein Kind. Doch die Liebe ist erkaltet, die Ehe besteht nur noch äußerlich, der Form halber. Beide gehen sich eher aus dem Weg. Sams Leben findet im Bureau oder im Sportclub statt, Dinah wird von den Besuchen bei ihrem Analytiker eher krank, als daß er ihr hilft. Sie besucht gern ein Kino, sieht dort einen (fiktiven) Film: »Trouble in Tahiti«. Wenn beide allein sind, sind sie gehemmt, keinem gelingt es, auszubrechen. Statt ihre Probleme zu besprechen (oder die Ehe zu lösen) schlägt Sam Dinah vor, ins Kino zu gehen und sich einen Film anzusehen: »Trouble in Tahiti«.

Beide Werke erfordern – wiewohl ihre Musik ganz unterschiedlich ist – kein großes Orchester. Offenbachs Operette ist leicht und luftig, mit vielen Bläsern besetzt, Bernsteins Oper nähert sich dem Musical. Für den Radebeuler Abend werden Orchesterfassungen von Hans-Peter Preu (Offenbach) und Garth Edwin Sunderland (Bernstein) genutzt, die auf Bläser und Schlagwerker setzen, während auf Streicher gänzlich verzichtet wird. Die deutsche Textfassung stammt von Paul Esterházy.
DIE INSZENIERUNG
Sebastian Ritschel (Inszenierung, Ausstattung und Licht) greift den »hollywoodesken« Charakter der Geschichten auf und bringt zwei spritzige, farbige Geschichten auf die minimale Bühne. Alles spielt in und um einen Würfel, der via Projektion (Video: Sven Stratmann) zu Herzogssitz oder Haus wird, zu Club oder Kino – alles ist quietschbunt und überdreht. Dabei begeistert aber, daß Ritschel einerseits die Buntheit nicht ausufern läßt, sondern ein Konzept aus Farben uns Ornamenten entwickelt hat, die grün-türkis-blau und sehr floral ein Inselparadies entstehen lassen oder eine neopoppig künstliche, unmenschliche Modernität. Dabei bleibt er pointiert, klotzt nicht mit Effekten, flicht sie aber hier und da dosiert ein. Eine Schildkröte bringt Cocktailgläser, Gummienten (nebst Loriots Stimme vom Band »Die Ente bleibt draußen«) oder kommentierende Texttafeln. Wichtiger, als daß er die Übersichtlichkeit erhält, ist, daß dabei die wahre Geschichte nicht »überballert« wird – schließlich steckt hinter beiden Geschichten doch eine Moral, die nicht trivialisiert werden sollte.
AUFFÜHRUNG UND STREAMING

Hans-Peter Preu erweist sich nicht nur in der Theorie (Bearbeitung), sondern auch als Akteur als ein Antreiber im positiven Sinne. Trotz minimaler Besetzung fließt und flutet die Musik, entwickelt rasante Tempi und Spritzigkeit. Wie sich dies im Haus anhört, hoffen wir bald wieder erleben zu dürfen, im Streaming war die Balance zwischen Orchester und Sängern jedoch ausgezeichnet.
Somit konnten sich die Akteure – in beiden Stücken gibt es nur fünf Rollen – entsprechend entfalten. Cacatois XXII (Andreas Petzoldt), Alexis (Kirsten Labonte), Romboidal (Kay Frenzel), Théodorine (Antje Kahn) und Hermosa (Florian Neubauer) erzählen das Geschlechter- und Verwirrspiel prickelnd und schmissig, Hans-Peter Preu belebt es mit dem Orchester und reichert die Atmosphäre nicht nur der Arien und Couplets, sondern auch mit Zitaten von Mozart bis Strauss an. Kostüme und Masken sind schrill und überzogen – eigentlich ist kaum jemand sexuell »eindeutig« gezeichnet – dennoch bleiben die Figuren individuell menschlich und verkommen nicht zu frivolen Kitsch-Abziehbildern – es darf also herzlich gelacht werden! Freuen darf man sich ebenso über die Stimmen.
Mit viel Farbe gibt es danach einen Kontrast: die schicke neue Welt aus dem fortschrittlichen Amerika wird entlarvt, doch auch hier haben die individuellen Rollen (Dinah / Ylva Gruen, Sam / Paul Gukhoe Song, Girl / Kirsten Labonte, Boy 1 / Florian Neubauer, Boy 2 / Benedikt Eder) das größere Gewicht gegenüber einer rein persiflierenden Personnage. Schon deshalb, weil sie nicht nur stimmlich sondern nicht weniger im Spiel überzeugen. Vor allem Kirsten Labonte, die in beiden Stücken agiert, entwickelt emotionales Timbre für beide Figuren, während jenes von Paul Gukhoe Song bei unverminderter Präsenz etwas matt oder kalt blieb. Andreas Petzoldt entwirft Cacatois XXII als schrillen Charakter mit ambivalenten, uneindeutigen Neigungen und stellt damit indirekt die Frage, ob jemand mit solcher Erbfolge (immerhin der 22. seines Geschlechts) psychologisch überhaupt noch »zuverlässig« sein kann. Wichtig beim Kammerspiel ohne Untertitel ist, daß die Sänger verstanden werden, womit das Ensemble aber kein Problem hatte.
Und das führt gleich zu noch einem Plus der Produktion: der Kameraführung. Eigentlich haben wir bisher immer bei Fernseh- oder DVD-Aufzeichnungen, bei Kinoproduktionen und ähnlichem die Übertragung zu beanstanden gehabt, weil der Kameravorteil (Bildwechsel, Nahaufnahme) verführt und zu häufig und zu schnell genutzt wird – das bringt Unruhe ins Bild. Diesmal gab es keinen Grund, sich eine solche Notiz zu machen oder überhaupt an die Kameraführung zu denken – Chapeau!
11. Mai 2021, Wolfram Quellmalz
»Inselzauber« ist von heute, 13. Mai, 19:00 Uhr bis zum Sonntag, 16. Mai, 19:00 Uhr, noch einmal im Streaming zu sehen. Virtuelle Eintrittskarten kosten 10,- € (ermäßig: 5,- €). Zur Vorstellung gelangen Sie hier: http://www.landesbuehnen-sachsen.de