Andacht vor der Passionszeit

Canzonetta Kammerchor Leipzig zu Gast in der Dresdner Kreuzvesper

Vor dem Sonntag Estomihi, dem letzten vor dem Beginn der Passionszeit, waren Gäste aus Leipzig in der Kreuzvesper zu erleben. Für den musikalischen Kern waren der Canzonetta Kammerchor Leipzig und seine Leiterin Gudrun Hartmann verantwortlich, an der Orgel spielte Thomas Lennartz, vormaliger Domorganist in Dresden und heute Professor für Künstlerische Praxis an der HMT Leipzig. Er steuerte im Verlauf unter anderem helle, freudvolle, und manchmal an Händel erinnernden Pastorale und Finale aus Josef Gabriel Rheinbergers Sonate F-Dur (Opus 196) bei. Das Programm wies aber noch einen weiteren Leipzig-Bezug auf.

Es begann aber nach dem von Thomas Lennartz begleiteten Einzug mit einem Auszug aus Josef Gabriel Rheinbergers Cantus Missae. Der Kyrie-Satz war – im Vergleich zu den vielen Fassungen seit der Renaissance – nicht nur sehr romantisch, sondern schien geradezu in Schönheit überhöht. Dicht und eng umschlungen durchdrangen sich die drei Verszeilen, die sonst oft nicht nur getrennt, sondern mit Solisten und Chor unterschiedlich besetzt sind, bis schließlich die Worte »Kyrie eleison – Christe eleison« ganz unmißverständlich hervortraten.

Mit Johann Rosenmüller wandte sich der Canzonetta Kammerchor Leipzig einem Komponisten zu, der während fünf Jahren als Thomaskantor bestellt war. »Welt ade! Ich bin dein müde« schien im Vergleich zu Rheinbergers hochromantischer Komposition um einiges volkstümlicher. Obwohl der Chor weit im Altarraum verteilt aufgestellten war, gelang ihm eine bemerkenswert geschlossene Darstellung und eine dramaturgisch gezielte Zuspitzung bzw. Hinführung auf die Schlußzeile »Friede, Freude und Seligkeit«, worin eine Kernbotschaft der Vesper enthalten war.

Das vielseitige Programm griff zudem eine Chorfassung der Sopranarie »Er weidet seine Herde« aus dem »Messias« auf (dort kurz vor dem Passionsteil), enthielt aber auch Werke modernerer Komponisten wie Cyrillus Kreek , Arvo Pärt (»The Deer’s Cry«) und John Tavener (»Mother of God«) zu. Letztere beide Werke erklangen von den in einem im Kreis aufgestellten Sängern, womit eine noch größere Verbundenheit dargestellt wurde, ohne daß die Ausgewogenheit der Stimmen maßgeblich gelitten hätte.

Pfarrer Holger Milkau griff gerade das rätselhafte Lied John Taveners auf, das auf Zeilen aus einem Liebesgedicht von Michail Lermontow beruht, und erinnerte daran, daß es unserer Seele (auch der ukrainischen oder russischen) manchmal eben schwerfällt oder kaum möglich ist, alltägliches, bedrückendes loszulassen und sich zu freuen. Gerade an diesem Wochenende hatten sicher viele gespannt gewartet, wie man die derzeitige Situation in Worte fassen, wie man Trost spenden kann – doch eine einfache Lösung, ein simples Versprechen, gibt es eben nicht und wurde hier auch nicht in den Raum gestellt.

Um so nahbarer, trostspendender dürfte für viele Felix Mendelssohns Fassung von »Verleih und Frieden« gewesen sein, welche der Chor vor dem Segen im Seitenschiff sang.

Für den Ausklang sorgte das Norwegische Abendlied »Ned i vester soli glader« (Nieder im Westen die Sonne sinkt) im Satz von Grete Pedersen, das im Gegenüber von Text (Frauenstimmen) und Vokalisen (Männer) eine skandinavische Weite öffnete.

27. Februar 2022, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Sonnabend findet wieder eine Kreuzchorvesper statt. Unter der Leitung von Kreuzkantor Roderich Kreile erklingen Werke von Heinrich Schütz, Johannes Brahms, Johann Rosenmüller und anderen. Orgel: Jonathan Auerbach, Liturg: Pfarrer Holger Milkau

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s