»Halt‘ meine Hand!«

Udo Zimmermanns Kammeroper »Weiße Rose« feierte auf Semper Zwei Premiere

Die Widerstandgruppe bzw. der Freundeskreis Weiße Rose hat in den wenigen Monaten seines Bestehens mit Aktionen, vor allem Flugblättern, eine große Wahrnehmung erreicht. Kein Wunder, daß der NS-Staat die Gruppe als gefährlich einstufte. Ihre Mitglieder wurden enttarnt, verhaftet und ein »schneller Prozeß« mit ihnen gemacht. Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst wurden am 21. Februar 1943 zum Tode verurteilt und schon am folgenden Tag hingerichtet. Ihr Leben und die Geschichte der Weißen Rose sind für viele Menschen bis heute von beispielgebender Bedeutung. Udo Zimmermann komponierte bereits 1967 / 68 eine Oper mit dem Titel »Weiße Rose«, für das sein Bruder Ingo das Libretto schrieb (Uraufführung um Dresdner Opernstudio). Später, 1986, nahm sich der Komponist noch einmal des Stoffes an. Seine Kammeroper, nun mit einem Libretto von Wolfgang Willaschek, ist keine neue Fassung, sondern ein eigenständiges Stück. Diese feierte vergangene Woche auf Semper Zwei Premiere.

Eigentlich sollte die »Weiße Rose« schon vor eineinhalb Jahren auf die Bühne kommen und war bis zur Generalprobe vorbereitet, auch der Komponist war eingeladen. Dann mußte die Premiere immer wieder verschoben werden. Nun fand sie ohne den Komponisten statt – Udo Zimmermann starb im vergangenen Jahr. Freitag vergangene Woche erlebte das Publikum einen zutiefst beeindruckenden Abend. Einen, dies sei vorab angemerkt, der noch mehr erschüttert als berührt. Die emotionale Aufarbeitung gehört zur Nacharbeit jedes Besuchers.

Daß Udo Zimmermann im Todesjahr von Hans und Sophie Scholl geboren wurde, ist eine von vielen Randbemerkungen zu dieser Oper. Der Stoff hat auch viele der an der Inszenierung Beteiligten immer wieder beschäftigt. Allein Regisseur Stephan Grögler realisierte in Dresden bereits seine siebente Weiße-Rose-Produktion. Der Schweizer zeichnet gleichzeitig für das Bühnenbild verantwortlich (Kostüme: Véronique Seymat). Die meist graue Umgebung ist mehr Folie als Raum – neben konkreten Objekten und Details (Lampe / Scheinwerfer, Abflußrohr, Stuhl) bleibt vieles im vage Unbestimmten. Die Farben schlagen um nach grün oder blau – ebenso »konkret unkonkret« scheint der Handlungsfaden. Er greift die letzten Stunden der Geschwister Scholl auf, die Ebenen von Dialogen, Gedanken, Erinnerungen und Beobachtungen durchwirken sich. Manches Bild, das die beiden sehen, scheint Traum oder Trugbild zu sein. Immer wieder bestimmen gesprochene Texte das Geschehen, konkretisieren Gedanken, Bedürfnisse, Gefühle, sprechen zunächst aber den Intellekt an. Stephan Grögler folgt den Effekten der Musik, auch mit Tonbandeinspielungen, eine emotionale oder zu effektvolle Überladung meidet er bewußt.

Erst nach und nach kristallisiert sich eine Situation: zwei Menschen, die kurz vor ihrem Tod stehen, sich dessen vollkommenem bewußt. Es sind kleine Gesten und Sätze wie »Halt‘ meine Hand!«, die relativieren, auch fassungslos machen.

»Weinen, bitterliches Weinen, Nacht für Nacht, Wort für Wort« (Hans)

Udo Zimmermann hat in seiner Musik, die ins Atonale flieht, das Geräuschhafte einbezieht, eine Art Skizze des Innenlebens angefertigt, die eben nicht mit einer Gefühlsflut überwältigt, sondern vor allem Brüche offenlegt, immer an einen Sinn – des Lebens – glaubt, fokussiert bleibt. Wenn die Gitarre dazu »Die Gedanken sind frei« anstimmt, entsteht daraus mehr als eine Metapher für die christlich-humanistische Gesinnung der Weißen Rose, mehr als nur ein Schatten.

Für die beiden Hauptakteure, Elisabeth Dopheide (Sophie Scholl) und Franz Xaver Schlecht (Hans Scholl) ist es ein intensiver, expressiver, emotionaler Abend, der im ständigen Wechsel, im Auf und Ab, im scheinbar verhaltenen Stillstand von Halbtönen schwebt, Brüchigkeit, Endlichkeit, Ausweglosigkeit zeigt, aber auch das Festhalten – an Überzeugungen wie aneinander. Immer wieder schlagen lyrische Passagen um oder brechen ab, steigern sich zum grellen Schrei (Elisabeth Dopheide), Franz Xaver Schlecht, der zwischen schmeichelnden und scharfen Tönen wandelt, macht Fassungslosigkeit deutlich.

Johannes Wulff-Woesten (musikalische Leitung)  hat die kleine Besetzung noch einmal von sechzehn auf neun Instrumente reduziert, dabei auf Exoten wie Gitarre und Stahlkontrabaß zurückgegriffen, was es dem Ensemble erlaubt, ganz unterschiedliche klangliche Sphären zu erreichen. Gerade der Stahlkontrabaß, ein großes Blech mit Klangstäben, schon im Aussehen weit entfernt ist von einem herkömmlichen Kontrabaß, eröffnet den Raum der Geräuschhaftigkeit, kann entfernt, beklemmend, mahnend klingen. Die Giuseppe-Sinopoli-Akademie wird von Gästen und Musikern der Sächsischen Staatskapelle unterstützt. Präzise messen sie den Raum aus, nutzen jeden Takt – jede wertvolle Minute von Hans und Sophie Scholl. Die musikalische Wirkung wird noch unmittelbarer, weil Johannes Wulff-Woesten die Akademie nicht seitlich oder vor der Bühne, sondern hinter dem Publikum platziert hat.

Es wirkt – nach den letzten Worten, den Gedanken um den Tod, an die Kraft des Widerstandes, die im Nicht-schweigen liegt, bleibt zunächst Beklommenheit, bevor der Applaus kraftvoll anschwillt.

12. März 2022, Wolfram Quellmalz

Weitere Aufführungen im März und Mai. Informationen unter: http://www.semperoper.de

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