Das Glück (auch) in kleinen Stücken

Dresdner Philharmonie mit Programmvielfalt

Sergei Rachmaninows zweites Klavierkonzert ist ein Publikumsmagnet, man kann seiner aber auch überdrüssig werden, wenn die Opulenz erdrückend wird. Nicht nur der etwas weitschweifige, pastöse Sound à la Hollywood ist Geschmackssache – wobei man hier schon differenzieren muß. Denn Rachmaninow klingt nicht nach Hollywood, Hollywood hat seinen Sound (auch) nach ihm kreiert, wie wir spätestens seit Richard Stuart Addinsells »Warschauer Konzert« wissen. Mit Tung-Chieh Chuang (Leitung) und Boris Giltburg am Klavier war dem Werke ohnehin jedes erdrückende Element entzogen. Vielmehr zeigte sich: Rachmaninow war nicht allein Komponist, er war Pianist-und-Komponist und wußte sein Instrument gekonnt in Szene zu setzen. So war das Klavier selbst bei größtem Orchestertutti nicht verdeckt, was aber nicht zuletzt an der Ausgewogenheit lag, die Tung-Chieh Chuang herstellte.

Als Zugabe hatte Boris Giltburg ein feines Stück des ukrainischen Komponisten Sergei Eduardowitsch Bortkiewicz dabei. Der hatte seinen Geschmack bei Studien unter anderem in St. Petersburg und Leipzig verfeinert – sein Präludium Opus 33 Nr. 6, ein elegantes Salonstück, war in Wien entstanden.

Zu Bortkiewicz‘ Lehrern hatte Anatoli Ljadow gehört. Das Märchenbild »Der verzauberte See« Opus 62, stand am Anfang des zweiten Konzertteils und verblüffte mit seiner sublimen, bezaubernden Vollkommenheit. Warum nur hatte sich Ljadow nicht an eine größere Form der sinfonischen Dichtung gewagt? Kein »Gramm« zu viel schien das Märchenbild zu haben, das die Dresdner Philharmonie zwischen ausdrucksstarker Poeterei und klangvoller Dramatik balancierte – wenn es musikalische Bilder gibt, gehören Werke wie diese zu den sinfonischen Graphiken!

Erweckt wurden sie von einem schwebenden Streicherklang, aus dem sich immer wieder luftige Bläser aufschwangen. Ihr Reigen zirkelte auch Maurice Ravels zweite Suite zu »Daphnis et Chloé« ab, die Tung-Chieh Chuang direkt anschloß. Das Inselmotiv beider Werke war wohl der gemeinsame Kern, gleichwohl ist Ravels Idyll ein wenig üppiger als es das ephemere Gebilde Ljadows war.

Das bilderreiche Konzert hatte schon mit einem poetischen Werk aus dem Zwischenbereich der (Traum)übertragung begonnen, mit einer bemerkenswerten Deutschen Erstaufführung: Donghoon Shins »Kafka’s Dream«. Dem Stück liegt ein Text Luis Borges‘ zugrunde, der sich um sich selbst dreht, die Perspektive wechselt (oder den Boden der Tatsachen?) – typisch Kafka eben bzw. eine kafkaeske Nachahmung.

Donghoon Shin, der anwesend war und den Applaus schließlich selbst entgegennehmen durfte, hatte Borges‘ Zeilen in drei Abschnitten gefaßt, deren Grenzen sich jedoch ebenso auflösen wie die Greifbarkeit des Sujets nur scheinbar ist (drei Individuen und deren Beziehung und Identität, die schließlich aufgehoben werden – sind sie alle nur einer, oder sind sie nur das Produkt eines Gedankens?).

Der Komponist hat dies in einen Klang geformt, der sich ständig wandelt, der Richtung, Gewicht und Bestandteile ändert, anfangs »von hinten« kommt, in bedächtige Trägheit verfällt, dann wieder Reflexe aufbricht, ins Orchester streut. Eben noch scheinen die Oboen im Zentrum, gehen über in einen Tutti-Ausbruch, den Glocken beruhigen …

20. März 2022, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Wochenende heißt es (pandemiebedingt kurzfristig geändert) »Jupitersinfonie«. Mit Jonathan Nott (Leitung) musiziert die Dresdner Philharmonie Igor Strawinskys Danses concertantes sowie von Wolfgang Amadeus Mozart das Konzert für Flöte und Orchester D-Dur (KV 314, Solistin: Kathrin Bäz) und die Sinfonie Nr. 41 (KV 551). Weitere Informationen unter: http://www.dresdnerphilharmonie.de

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