Musik der Kontinente und der Zeiten

Kent Nagano mit der Dresdner Philharmonie in der Frauenkirche zu Gast

Mit den Musikfestspielen kommt es an vielen Orten zu einer Wiederbelebung des musikalischen Lebens in Dresden. Am Freitag gehörte auch die Frauenkirche in diesen Kreis – seit längerem war wieder einmal ein großes Orchester hier zu Gast. Und stellte sogleich die Frage: paßt eine Bruckner-Sinfonie wirklich hierher?

Der Anfang gehörte jedoch einem ganz anderen Werk: Toshio Hosokawa hat mit seiner Oper »Stilles Meer« die Geschichte einer Tsunami-Katastrophe erzählt. Das daraus entstandene Intermezzo (2016 geschrieben) ist mit allein vier Schlagwerkern besetzt. Alexej Bröse, Ricardo Paños, Ingo Reddemann und Maximilian Mertens erzeugten auf ihren Trommeln und Bongos Klänge, die elementar, archaisch schienen, Episoden erzählten, von Regen, Wellen, Urgewalt darstellten. All dies so (scheinbar) faßbar zu machen, war ungemein faszinierend!

Von Asien und dem 21. Jahrhundert ging es nach Amerika und ins 20. Jahrhundert zu Charles Ives’ »The Unanswered Question«. Häufige Besucher der Philharmonie konnten sich an eine Aufführung des Werkes 2017 im damals noch recht neuen Kulturpalast erinnern. Wer eine noch längere Besuchererfahrung hat, war vielleicht bereits 1974 bei der DDR-Erstaufführung dabei. Kent Nagano nutzte wie schon bei Toshio Hosokawa die Raumwirkung des Kirchenschiffes bzw. nahm Rücksicht darauf. Ives‘ Werk enthält Schwebungen der Streicher, die ein Gefühl der Weite entstehen ließen, die Trompete (von oben) rief in diese hinein, die Holzbläsergruppe sorgt nicht allein für »Schmuck«, sondern für chromatische Umfärbungen. Selbst ohne eine tiefere Deutung der Gedichtvorlagen dieser Musik blieb ihre suggestive Wirkung großartig. Die Einsamkeit war schien nicht verloren, sondern erneut elementar getrieben.

Und was ist nun mit Bruckners erratischen Werken aus dem Europa des 19. Jahrhunderts und dem Nachhall in einem Kirchenraum? Daß der Komponist vieles »zur größeren Ehre Gottes« geschrieben hat und man es deshalb hier aufführen könne, mag ein Denkansatz sein, eine unwiderlegbare Schlußfolgerung ist es keineswegs. Kent Nagano näherte sich der sechsten Sinfonie denn auch nicht mit theoretischen Erklärungen, sondern mit einem bewußt schlankeren, vitalen Klang. Die Streicher belebten schon das Majestoso erfrischend federnd, die blockhaften Einwürfe der Bläser hatten sorgsam runde Kanten – die Konturen waren weicher gezeichnet, blieben aber ohne »Klangüberschlag« und dennoch klar. Selbst die erratischen Weiten waren nach wie vor herauszuhören. Naganos Gestaltungskraft erhielt somit den großen sinfonischen Bogen, wirkte kein bißchen wie eine maßstäbliche Verkleinerung oder Kammermusik.

Pointiert klang das Scherzo mit einer wunderbaren Horngruppe um Sarah Ennouhi. Einen Nachhall muß man nicht allein abwarten, man konnte ihn durchaus genießen, wie am Schluß dieses inspirierenden dritten Satzes, der schließlich noch von einem Finale mit singenden Violoncelli überboten wurde, das von den Blitzen der Blechbläser in scharfen, aber keineswegs grellen Kontrasten durchzuckt wurde – in der Tat »bewegt« (Satzbezeichnung). Bruckner paßt durchaus in die Frauenkirche, vor allem, wenn er so sorgfältig ausgezirkelt und so nuanciert ausgestaltet wird!

21. Mai 2022, Wolfram Quellmalz

In der kommenden Woche spielt die Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Joana Mallwitz Werke von Kurt Weill, Peter Tschaikowsky und Johannes Brahms (Solist: Gautier Capuçon / Violoncello). Informationen und Karten unter: www.dresdnerphilharmonie.de

In der Frauenkirche gibt es schon heute wieder Musik: Joséphine Olech (Flöte) und Marianne Salmona (Klavier) spielen französische Kammerwerke, am Mittwoch gibt es Orgelmusik mit Martin Sander (München). Das nächste Konzert mit Orchesterbesetzung folgt am 2. Juni im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele (Yale Schola Cantorum). Weitere Informationen unter: www.frauenkirche-dresden.de und http://www.musikfestspiele.com

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