Feuergeschöpfe

Intendant Jan Vogler musizierte mit dem HR-Sinfonieorchester und Paavo Järvi

Zu den spannendsten Aspekten der Dresdner Musikfestspiele gehört es, die Gastorchester zu erleben und zu vergleichen. Am Sonntagmorgen konnte man seine Ohren beim HR-Sinfonieorchester im Kulturpalast baden – und es schien, als wären da zwei unterschiedliche Klangkörper gekommen.

Gleich zu Beginn – viele Programme sind im Format noch ein wenig reduziert und verzichten auf ein Ouvertürenstück – betrat Jan Vogler als Solist das Podium. Antonin Dvořáks Cellokonzert, erzählte der heutige Intendant der Musikfestspiele einmal, gehörte Anfang der achtziger Jahre zum Programm eines Vorspiels bei der Sächsischen Staatskapelle, wo Vogler kurz darauf als Erster Konzertmeister aufgenommen wurde. Es ist eines jener Werke, die jeden Cellisten wohl zeitlebens begleiten.

Mit Paavo Järvi fand Vogler schnell in eine symbiotische Partnerschaft, was der sinfonischen Gemeinsamkeit guttat. Der körperreiche, fast süffige Celloton paßte gut zum Stück, das – doch in Amerika entstanden – in der Lesart des HR-Sinfonieorchesters viel Böhmisches verriet. Wie im zweiten Satz in dem die Wellen der begleitenden Violinen an die Moldauströme erinnerten. Während die reiche Blechbläserbesetzung mit der Gruppe der Hörner für Furore sorgte oder im Chor (Trompeten, Posaunen, Tuba) schimmerte, blieben viele kantablen Szenen kammermusikalisch im Duett (mit dem Konzertmeister Florin Silviu Iliescu oder mit der Flöte) sehr liedhaft. Große Teile des Konzerts, nicht nur der zweite Satz, ziehen ihr Thema schließlich aus einem Lied. Dennoch bündelte Paavo Järvi die so unterschiedlichen Passagen, mal kammermusikalisch, mal im Tutti, wunderbar dicht. Nicht zuletzt, weil er der Gestaltung von Pausen (oder der Vermeidung) Aufmerksamkeit schenkte.

Für die Aufmerksamkeit des Publikums bedankte sich Jan Vogler mit der Sarabande aus der Cellosuite G-Dur (BWV 1007).

Und dann das: Nachdem sich Dirigent und Solist bei Dvořák noch auf gemäßigte Tempi geeinigt hatten, was dem elegischen Gestus des Werkes ein wenig (durchaus angenehm) herausstrich, brausten die HR-Sinfoniker mit Ludwig van Beethovens achter Sinfonie los. Nicht zuletzt hat heute nahezu jedes Sinfonieorchester Erfahrung mit historisch informierter Aufführungspraxis bei Beethoven (bei Dvořák hingegen nicht). Paavo Järvi sorgte schon lange vor dem verhinderten Beethovenjahr mit seiner Gesamtaufnahme in Bremen für Aufhorchen, auch das HR-Sinfonieorchester hat unter anderem mit Philippe Herreweghe einschlägige Erfahrungen gesammelt. Darauf aufbauend zündete es am Sonntagmorgen ein Feuerwerk, welches das Cellokonzert schnell verblassen ließ – schwungvoll, aber nicht übermäßig aufgeheizt stürmte Järvi durch die Sätze, behielt dabei aber die Prägnanz. Mit deutlich reduzierten Bläsern (Trompeten und Hörner nun wie die Holzbläser nur zu zweit) schärfte er Konturen und ließ Beethoven atemlos funkeln. Die Sätze gingen direkt oder mit nur kurzer Pause ineinander über – der treibende Impetus konnte auf Abwarten oder nachdenkliches Verweilen verzichten. Ohnehin ist der Aufbau der Sinfonie ohne langsamen Satz, aber mit Allegretto scherzando und dem Tempo di Menuetto (und damit auf den Scherzo-Vorläufer Menuett bezogen) ein wenig kurios. Es ist aber nicht als Scherz gemeint, sondern entspricht einer furiosen Idee, die sich hier wunderbar entzündete.

So kam richtige Festspielstimmung auf und – endlich! – auch eine Orchesterzugabe: Beethovens Ouvertüre »Die Geschöpfe des Prometheus«.

22. Mai 2022, Wolfram Quellmalz

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