ensemble courage als Impulsgeber

Höhepunkt in der Reihe re:actions des KlangNetzes Dresden

Am Freitagabend fand im Deutschen Hygienemuseum die re:actions-Reihe mit zeitgenössischer Musik ihre Fortsetzung. Das KlangNetz Dresden bringt darin unterschiedliche Akteure zusammen (wobei einige wiederkehren) und präsentiert zeitgenössischer Musik unserer Tage – sie kann mittlerweile schon ein paar Jahrzehnte alt sein. Neben modernen Klassikern gibt es jeweils Kompositionen der letzten Jahre sowie eine Uraufführung, die mit einem besonderen Merkmal (oder Dogma) behaftet ist, denn sie bezieht die Uraufführung des oder der letzten Konzerte der Reihe ein. Die letzten dieser Stücke von Jaei Hyuk-Ra und Juan Muñoz Campos gerieten dabei – mit Livebildern, Audio- und Videoaufnahmen – zu multimedialen Ereignissen, was die Anzahl der Verknüpfungspunkte zwischen den Werken erhöhte, dagegen waren eigene Fokussierung und Identität weniger stark ausgeprägt. Beniamino Fiorini, der Komponist und Dirigent des Uraufführungsstückes »…spurlos« am Freitag, verzichtete auf Bilder oder Videos. Die eingewobenen Aufnahmesequenzen waren für aufmerksame Beobachter kenntlich, vor allem aber hatte sein Stück einen ausgeprägten Charakter.

ensemble courage im Deutschen Hygeienemuseum, Photo: NMB

Spurlos, also ohne Spur, war es keineswegs, im Gegenteil. Denn Beniamino Fiorini hatte als Kurator des Abends das Programm insgesamt beeinflußt. Und so ergab sich eine höchst interessante Folge von Werken, die in sich und untereinander von Impulsen gekennzeichnet waren. Zudem waren drei der Komponisten, Gerard Grisey, Mark Andrè und Beniamino Fiorini, durch Lehrer-Schüler-Beziehungen über drei Generationen miteinander verbunden.

Marco Momis Iconica (mitKatrin Paulitz / Flöten, Georg Wettin / Klarinetten, Uta-Maria Lempert / Violine, Nikolaus Schlierf / Viola, Matthias Lorenz / Violoncello und Michiko Saiki / Klavier) begann mit einem Startimpuls vom Megaphon, der sich über das Klavier auf die anderen Instrumente übertrug. Dabei wurden gemeinsame Resonanzräume genutzt (Klarinette in die Saiten des Klaviers geblasen) – später war bei Mark Andrès »Asche« die Klarinette zwischen zwei großen Gongs, welche die Schallausbreitung beeinflußten, plaziert. Iconica war von vielen Umwichtungen des Klangs und der Stimmenverteilung gekennzeichnet, balancierte zwischen tonaler, emotionaler Ausbreitung und rhythmischer Präsenz.

Auch Salvatore Sciarrinos »Arioso à 5« lotete einzelne Klangräume aus, schaffte Verfremdungs- bzw. Imitationseffekte. Es schöpfte aus Wind bzw. Atem einen Klang, die vielen Wandlungen wurden schließlich dennoch etwas unübersichtlich (oder lang). Gerard Grisey ließ »Talea« mit einer erregten Vibration beginnen, die sich impulshaft fortsetzte, in Sequenzen und Elemente zerlegt wurde und so den Klang vollkommen differenzierte.

Einen in Partikel zerlegten (oder aus Partikeln entstehenden) Klang führte Mark Andrè vor, dessen »Asche« beinahe bildhaft klang: rauh, verwischt, zerbröselt. Die wiederholten Sequenzen unterlagen einer stetigen Änderung, die bis in emotionale Ausbrüche führte, am Ende aber scheinbar verweht wurden (wie Asche im Wind).

Vier der sechs Werke des Abends gehörten ins 21. Jahrhundert. Pierre Boulez‘ »Derivè I« von 1984 war unter ihnen das älteste und hatte einen deutlich anderen Charakter. Der Komponist hatte nicht Partikel und Sequenzen differenziert, sondern tonale, melodische Bögen entworfen, womit er (in diesem Konzert) fast eine Brücke zu Igor Strawinsky schlug. Dabei schien »Derivè I« dennoch nicht überholt, sondern bot einen anregenden Kontrast und leitete zur Uraufführung über.

Dafür übernahm Beniamino Fiorini das Dirigat, für das zuvor die umsichtige Xizi Wang gesorgt hatte. Außerdem erweiterte er das Klangspektrum um Schlagwerk auf sieben Instrumente, mit denen er für (gewollt) indifferente Klänge sorgt, das heißt ein Klang-Erlebnis, das zunächst irritiert, weil man den »Verursacher« nicht sofort klar zuordnen konnte. Selbst mit nur sieben Beteiligten schaffte es Beniamino Fiorini, unterschiedliche Ebenen (Untergrund / Führungsstimmen) darzustellen und so ineinander zu verzahnen, daß sich ein langgezogenes Glissando, das eine Schwebung aufhebt und ins Driften überführt, wiederum einer schnellen, klaren Zuordnung des Ursprungs entzog – spannend!

8. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz

Die Reihe re:actions wird im kommenden Januar abgeschlossen. Termine und Informationen unter: http://www.klangnetz-dresden.de

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