Ton Koopman und Robert Oberaigner bescheren mit der Staatskapelle ein musikantisches Vergnügen
Die Überraschungen waren diesmal theoretischer Art und erwiesen sich als beiläufig: Ton Koopman begann sein Programm in zweiten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle mit Carl Maria von Weber sozusagen (chronologisch) am falschen Ende und machte dann via Mozart eine Rolle rückwärts zu Haydn, auch seine Orchesteraufstellung – nicht »deutsch« mit ersten und zweiten Violinen gegenüber, sondern nebeneinander, war anders als erwartet. Beides jedoch erwies sich in der Aufführung als bedeutungslos. Und das lag am unwiderstehlichen Musizieren der Kapelle und ihrem Vermögen, sich ineinander zu fügen.

Ton Koopmans Tempi sind gewöhnlich recht flott, doch prägten solche die Aufführung am Sonntagvormittag nicht, dafür wohlgesetzten Pausen. Die Freischütz-Ouvertüre lebte von einer »knackigen« Interpretation, welche die volkstümliche Idiomatik hervorkehrte. Zwar mögen Puristen die Subtilität, die im kurzen Wolfsschluchtanklang stecken kann, vermißt haben, doch die Unwiderstehlichkeit des Musizierens fegte schon hier jede diesbezügliche Kritik hinweg. Viel wichtiger war die Horngruppe, die – Max hin, Samuel her – von hinten rief. Angeführt wurde sie vom Ton der Klarinette: Robert Oberaigner, Soloklarinettist des Orchesters, spielte zunächst und später wieder im Orchester.
Für das Konzertstück vor der Pause jedoch band er sich die Krawatte ab, lockerte den Kragen und war führende Persönlichkeit in Wolfgang Amadé Mozarts Klarinettenkonzert KV 622. Ton Koopman stellte sich dabei in den Dienst des Solisten – hier und da hätte er vielleicht doch etwas straffen können, der zweite Satz geriet recht weitschweifig, doch das gemeinsame Musizieren betreffend war diese Interpretation einfach wunderbar. Oberaigners Läufe gefielen in ihrer Geschmeidigkeit, großartig war, wie ihm die Violinen folgten, wie die Fagotte schimmernde Akzente setzten, wie sich Kontrabässe – als Weiterentwicklung des Basso continuo – als Partner des Solisten zeigten. Und vor allem: wie alle den Tempi und Piani des Solisten folgten. Die Frage bei KV 622 ist häufig, welche Klarinette man spielt, die klassische oder die Bassettschwester. Robert Oberaigner nutzte die sopranene Kantabilität seines Instruments, fand aber auch einen goldenen Bassettboden und verband damit beide Attribute.
Wer so musikantisch ist, kann auch heiteres, vermeintlich »leichte« Kost präsentieren, denn der Kenner (oder Genießer) weiß: auch Serenaden wollen ernstgenommen werden. Mozarts »Serenata notturna« (KV 239) zum Beispiel, die effektvoll mit Paukenwirbeln (auf Kesselpauken!) ausgestattet ist, darf nicht akademisch gespielt werden. Christian Langer vollführte seinen Wirbel inmitten des Orchesters, derweil einer der Kontrabässe (Andreas Ehelebe) nach vorn zwischen Celli und Violen gerutscht war. Von hier zelebrierten reihum Matthias Wollong (1. Konzertmeister), Holger Grohs (Konzertmeister 2. Violinen), Pauken und Kontrabaß ihren Kadenzreigen, den Ton Koopman – mit offensichtlichem Vergnügen – und der Frage »Wer ist jetzt dran?« zu quittieren schien, worauf sich die Celli meldeten. Wie schön, wenn solcher Spaß nicht banalisiert, sondern mit Herz und Können präsentiert wird!
Da durfte Joseph Haydns »Militärsinfonie«, die eher nach Prunk und Freude klingt, einen funkelnden Schlußpunkt setzen, Nikolaus Harnoncourts Wort (wie so viele seiner Gedanken bedenkenswert) von der »Anti-Militärsinfonie« bietet die Lösung für die fröhlich-musikalische Einverleibung der Janitscharenmusik, der Jürgen May, Dirk Reinhold und Stefan Seidel (Schlagwerke mit Trommel, Becken und Triangel) zur Lebendigkeit verhalfen.
10. Oktober 2022, Wolfram Quellmalz