Die neue Stimme?

Debut-CD von Jonathan Tetelman

Man soll(te) eigentlich vorsichtig sein, Debütanten gleich in den Himmel zu heben oder mit den Größten ihrer Zunft zu vergleichen, aber manchmal ist es schier unmöglich dies zu unterlassen – diese Stimme haut einen auf jeden Fall um! Jonathan Tetelmans erstes Album heißt schlicht »Arias« und es scheint, dieser Tenor, der seine Laufbahn als Bariton begann (ursprünglich wollte er Baß werden), könne alles. Sein Legato ist himmlisch, sein Vibrato lebensecht bis göttlich, die Hingabe, die er den Stücken einverleibt, unwiderstehlich – dieses Album reißt den Opernfreund hin! Dabei kann Jonathan Tetelman mit Sicherheit nicht alles, aber genau mit der sicheren und richtigen Auswahl der Stücke, also der Wahl dessen, was seine Stimme vermag, was er auszudrücken versteht, geht es ja los. Schon darin ist Tetelman hinreißend, und es wird besser, je mehr Titel man hört oder je öfter man die CD auflegt.

Dabei drängen sich bald die Vergleiche auf, denn viele der Stücke haben seine Kollegen (und hier sind in der Tat die ganz großen aktuellen Stars gemeint) ebenfalls aufgenommen – Jonathan Tetelman muß den Vergleich nicht nur nicht scheuen, er kann sogar darauf verzichten. Das prädestiniert ihn wohl auch als Opernsänger: die »Arien« sind nicht einfach schöne Stücke oder »Schmankerl«, der Tenor gibt ihnen immer einer Bühnenpräsenz mit, es scheint, als stünde hinter jedem einzelnen die Idee einen Bühnenverkörperung. Diese Botschaft macht natürlich neugierig auf seine echten Auftritte.

Jonathan Tetelman, scheint es, tritt nicht fehl, selbst dann, wenn man zunächst verblüfft ist. Zum Beispiel beim vierten Titel der Aufnahme: die Arie des Lyonel aus Friedrich von Flotows Oper »Martha« (»Ach wie fromm …«), ein beliebtes Zugabenstück und in den letzten Jahren oft aufgenommen – stets auf deutsch natürlich, erklingt hier in einer italienischen Fassung. Der Grund liegt wohl darin, daß alle anderen Stücke auf italienisch oder französisch gesungen werden und hier kein »Bruch« entstehen soll. Wenn man es nicht besser wüßte, würde man annehmen, dies sei das italienische Original (ist es natürlich nicht)!

Die Geschmeidigkeit, die bei Flotow begeistert, ist sicher ein Markenzeichen des Tenors, aber nicht allein. Immer vermag er ein fein vibrierendes Timbre zu nutzen, Lebhaftigkeit und Leidenschaft einzufügen, denen man ein Echtheitszertifikat ausstellen könnte. Vor allem: selbst große Umschwünge, ob im dramatischen Fall oder in großen Tonstufen, füllt er aus – die Dramatik entsteht geradezu plastisch, die Stimme kann zwischen höchsten und tiefsten Lagen scheinbar mühe- und bruchlos gleiten.

Und auch die Stückauswahl ist perfekt. Neben berühmten Auszügen gibt es Einblicke in Ponchiellis »La Gioconda«, Francesco Cileas »Adriana Lecouvreur« oder Riccardo Zandonais »Francesca da Rimini« – wie herrlich, diese Arien zu erleben, von Opern, die entweder nicht oder nur dem Namen nach bekannt sind. Wer auf »best of« aus ist, wird aber ebenso befriedigt, denn mit Verdi (»I due Foscari«, »La forza del destino«, »Il trovatore«), Georges Bizet (»Carmen«) und Giacomo Puccini (»Madama Butterfly«) gibt es regelrechte Schwerpunkte darin.

Mit dem Orquesta Filarmonica de Gran Canaria, der Sopranistin Vida Miknevičiūtė und Tenor-Kollegen José Simerilla Romero als Duettpartner sowie dem Dirigenten Karel Mark Chichon, der als Entdecker des Tenors gilt, hat Jonathan Tetelman ideale Partner gefunden, welche nicht glanzvoll die schönsten Sterne herausputzen, sondern darauf bedacht sind, symbiotisch eine Opernatmosphäre erstehen zu lassen. Ist Jonathan Tetelman also die neue Stimme, die man künftig zwischen den großen Stars einordnen kann? Man kann die Frage schon jetzt noch kaum mit »noch offen« beantworten. Vom Rezensenten gibt’s ein eindeutiges »JA!«

November 2022, Wolfram Quellmalz

Jonathan Tetelman ist im Januar und Februar in »La bohème« an der Semperoper zu erleben.

Jonathan Tetelman, Orquesta Filarmonica de Gran Canaria, Karel Mark Chichon (Dirigent): »Arias«, Arien von Amilcare Ponchielli, Umberto Giordano, Giuseppe Verdi, Friedrich von Flotow, Georges Bizet, Francesco Cilea, Riccardo Zandonai, Jules Massenet, Pietro Mascagni, erschienen bei Deutsche Grammophon

Noch kein Weihnachtsgeschenk? Die Neuen (musikalischen) Blätter verlosen unter allen Leserinnen und Lesern eine CD von Jonathan Tetelman. Schreiben Sie bis zum 19. Dezember (24:00 Uhr) an Redaktion-nmb(at )web.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s