Kammerchor und Jugendkammerchor der Singakademie Dresden in der Loschwitzer Kirche
Das vom damaligen Leiter Ekkehard Klemm ins Leben gerufene Konzert »Adventsstern« gehört seit vielen Jahren fest in den Kalender der Singakademie. Traditionelle Musik zum Advent oder zur Weihnacht wird dabei modernen Stücken gegenübergestellt – oft sogar mehrfach verquickt, denn statt einer losen Folge von Weihnachtsliedern gibt es oft Zyklen bzw. Stücke, die einem »roten Faden« folgen; die modernen Werke sind sorgsam ausgewählt, in der Regel eines dezidiert für den Anlaß geschrieben. Das hat sich in diesem Jahrgang und mit dem neuen Leiter Michael Käppler nicht geändert.

»Adventsstern« 2022 in der Loschwitzer Kirche, Photo: Singakademie Dresden
Zum »Adventsstern« gehört, daß die historischen Titel oft der Dresdner Tradition entnommen sind, viele wurden lange nicht aufgeführt. So wie im Fall der beiden Magnificat von Johann David Heinichen, der nicht nur Kapellmeister am Königlich-Polnischen und Kurfürstlich-Sächsischen Hof war, sondern darüber hinaus Musikwissenschaftler. Dem Text des Magnificat hat sich Heinichen mehrfach zugewandt, auch seine (vermutlich) letzte Komposition (ein 9. Magnificat) galt ihm. (Oder es bestand die liturgische Anforderung, nahezu jedes Jahr eine neue Komposition des Textes vorzulegen – zwischen 1721 und 1729, Heinichens Todesjahr, »fehlt« nur der Jahrgang 1722.) Im Programm des »Adventsstern« erklangen die Fassungen von 1726 (F-Dur) und 1727 (G-Dur) als (vermutlich) Wiederaufführung nach fast 300 Jahren. Und obwohl der Text identisch ist und auch die Folge von Chor-und Solopassagen nicht eben divergiert, handelt es sich um zwei im Charakter sehr unterschiedliche Werke – vielleicht spiegeln sie nicht zuletzt die damals momentanen Stimmungsbilder wider? Das Magnificat Nr. 5 (F-Dur) beginnt deutlich verhaltener, betont die (innere) Zuwendung der Seele (von Sopranistin Isabel Schicketanz betörend dargeboten), während das sechste (G-Dur) von Beginn in festlichem Glanz der Freude erstrahlt. Die beiden Teilchöre der Singakademie (Kammerchor und Jugendchor, letzterer an Blumen am Revers zu erkennen) standen und klangen gefügt, Michael Käppler formte mit ihnen einen homogenen Gesamtkörper, der den Solisten (außerdem Annekathrin Laabs / Alt und Čeněk Svoboda / Tenor) gegenüberstand.
Zwischen beide Magnificat war eine weitere liturgische Komposition Johann David Heinichens gesetzt. Denn der hatte neben den Magnificat viele weitere Messen und Psalmen vertont, Antiphone sowie Litaneien (und anderes mehr). Čeněk Svoboda trug das Lamentatio Jeremiae Prophetae Nr. 1 sehr ausgewogen und klangschön vor, auch wenn er nicht ganz die Emotionalität erreichte, die man von ihm gewohnt ist. Vielleicht, weil sich die Wirkung der Lamentatio nicht allein auf den Tenor stützt, sondern ebenso auf die Instrumentalsolisten. Die Batzdorfer Hofkapelle um Daniel Deuter hatte mit Flöten und Oboen sehr variable Stimmen, welche unterschiedliche Schwerpunkte setzen und Affekte zu unterstreichen wußten. Im zweiten Magnificat sorgte sie mit drei (teilweise gestopften) Oboen für Aufhorchen.
Die zweite Konzerthälfte prägten Felix Rumpf und die zeitgenössischen Werke, wobei der Bassist zunächst Solist blieb: Frederic Rzewski hat in »Coming together« den Brief des Insassen eines amerikanischen Hochsicherheitsgefängnisses mit musikalisch-minimalistischen Mitteln umgesetzt. Ganz anders als bei Heinichens eben verklungener Musik, welche eben dem Affekt eine besondere Bedeutung zuschreibt, löst Rzewski diese Verbindung nahezu auf, obwohl auch er mit stilistischen Mittel arbeitet. Allerdings wechseln diese, während der gleiche Text wieder und wieder wiederholt wird, was es erschwert, einer Beschreibung emotionaler Zustände zu folgen. Statt Textpassagen instrumental auszukleiden, variieren Zeilen und Musik, ohne daß sich ein (zwingender) Zusammenhang ergibt. Vielmehr werden äußere Aspekte wie die Struktur betont: Zunächst wird der Text Vers um Vers wiederholt und um jeweils eine Zeile erweitert, bevor in umgekehrter Reihenfolge ein versweiser »Abbau« beginnt. Allerdings erreicht der Vortrag zu keinem Zeitpunkt die maximale Länge von der ersten bis zur letzten Zeile, da das Anfügen des letzten Verses bereits mit dem Weglassen des ersten verbunden ist.
Ein – zugegeben – nicht zuletzt anstrengendes Werk (spätestens, wenn man die Struktur verstanden hat und sich »ausrechnen« konnte, wie es endet und wie lang dies dauern würde. Gleichzeitig erhöhte dies den Respekt vor der atemlosen Ausführung der Instrumentalisten (Michael Käppler / e-Piano, außerdem ein Quartett aus Streichern und Flöte) und dem sauber deklamierenden Solisten, der einen monologischen Sprechgesang in beeindruckender Weise aufrechterhielt.
Mit Franz Kaerns »A Song for Simeon« wandte sich das Programm abschließend der Uraufführung zu, einem Auftragswerk der Singakademie. Diesmal wurde der Chor nicht von einem Orchester, sondern von der Soloharfe (Kazumi Hashimoto) begleitet. Das sorgte gerade zu Beginn für wundersame und stimmungsvolle Eindrücke, denn die Harfe kann träumerisch, winterlich und zauberisch klingen und ist damit prädestiniert, Hyazinthen oder Schneeberge einzufangen, auf die sich der Text in den ersten Zeilen bezieht. Felix Rumpf (manch einer hatte gedacht, nach dem Marathon von »Coming together« bräuchte er eine Pause), der nun eine Singstimme (ohne Deklamation oder Sprechen) auszufüllen hatte, fand zu einer emphatischen Darstellung. Sein Vibrato paßte zum Text, der sich auf Gebete, die Bitte um Frieden bezieht. Im weiteren Verlauf traten Baß und Chor parallel auf. Schließlich berichtet das Werk aber weder von Erfüllung des Wunsches noch von Versprechen, es mündet in Müdigkeit des Erzählers und in Sterben, von absteigenden Linien dargestellt, und endet mit der Beschreibung eines höheren Ziels »Da seine Augen den Heiland sahn.«
5. Dezember 2022, Wolfram Quellmalz
Ausblick: am 18. Dezember, 17:00 Uhr, treffen sich alle Teilchöre der Dresdner Singakademie in der Lukaskirche zu festlicher Chormusik.