Gipfelpunkte

Hartmut Haenchens triumphale Rückkehr bei den Dresdner Musikfestspielen

Es war nicht das erste Mal, daß der ehemalige Intendant (Hartmut Haenchen) der Dresdner Musikfestspiele (DMF) zu Gast war und der aktuelle (Jan Vogler) im Publikum saß. Doch weniger wegen dieser Konstellation als wegen des musikalischen Erlebnisses wird die Matinée im Kulturpalast in Erinnerung bleiben.

Dabei hätte es getrost »Niederländer unter sich« heißen können, denn nicht nur das Orchester (Nederlands Philharmonisch Orkest) und die beiden Solisten Lucas & Arthur Jussen kamen aus unserem Nachbarland, Hartmut Haenchen selbst verbrachte prägende Jahre dort. Das Nederlands Philharmonisch Orkest Niederländischen Philharmonie und De Nederlandse Opera in Amsterdam gehören und gehörten zu Haenchens wichtigsten kulturellen Marksteinen.

Auf dem Gipfelpunkt: Hartmut Haenchen und das Nederlands Philharmonisch Orkest am Sonntag mit Bruckner im Kulturpalast, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Stephan Floss

Die Kombination Mozart und Bruckner scheint eine goldene zu sein. Blättert man in Programmheften, stellt man fest, daß ein Konzert von Wolfgang Amadé gern einer der titanischen Sinfonien vorausgestellt wird. Statt des üblichen Solokonzerts war es diesmal eines für zwei Klaviere und Orchester, Es-Dur (KV 365 / 316a). Es mag weniger individuell oder frei sein, mehr vom Kalkül durchzogen, daß beide Spieler (Mozart komponierte in der Regel für sich oder Uraufführungsinterpreten und gemäß deren Fähigkeiten) gleichermaßen zur Geltung kommen. Die beiden Brüder sind selbstverständlich genau genug miteinander vertraut, um dabei den verblüffenden Eindruck eines Spielers zu erwecken. Vor allem im zweiten, stärker dialogisch angelegten Satz konnten sie dies »ausspielen«, die Ecksätze perlten munter, berührten aber nicht immer. Wem es also schien, als seien diese zu perfekt dargeboten, der wurde von der Zugabe aufgeweckt, einer beinahe wilden Improvisation über Wiener Walzer, in der Josef Strauss auf Rachmaninow und Gershwin traf.

Nach der Pause schritten Hartmut Haenchen und sein Orchester Anton Bruckners Klanggipfel aus. Und das – bei aller Präzision – mit ungeahnter Emotionalität. Und Tonalität bzw. Klang, denn Hartmut Haenchen gehört zu jenen Dirigenten, die ganz bewußt den Klangraum und die Entfaltung von Musik einbeziehen. Und so wunderte die Orchesteraufstellung mit geteilten Kontrabässen rechts und links außen letztlich nicht.

Das Resultat sprach ohnehin für sich: Gleich im ersten Satz wuchs auf der Bühne ein Panorama aus dem Thema (ohne Einleitung), gewann »unten« an Basis durch die Bässe und leuchtete »oben« mit den Bläsern. Schlank und luftig konnte sich das in den Blechbläsern wiederholende Echo entfalten. In jedem der Sätze gab es Spannungsgipfel, die in der Regel mit dem Tremolo wuchsen, während die Pauke den Gipfel markierte. Im Adagio sangen dazu die Violoncelli, der Gipfel des Scherzos markierte exakt und mit fühlbarem Nachhall den Schluß des Satzes. Während der zweite Satz nach dem luftigen ersten dunkel schien, wuchs mit dem dritten eine Kraft (im Trio wiederum aufgelockert), die sich unbändig im Finale ausbreitete.

Hartmut Haenchen und das Nederlands Philharmonisch Orkest am Sonntag mit Bruckner im Kulturpalast, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Stephan Floss

Dabei blieb das Orchester, das man mit dieser Leistung unter die erstklassigen zählen muß, im einzelnen durchhörbar – großartig, wie erst der Blechbläserchor dem Pizzicato folgt und kurz darauf alle im Tutti verschmolzen! In der Tiefe der Berührung übertraf Bruckner diesmal Mozart, »Wahnsinn« sagte eine Dame hinter mir nach dem Ende.

21. Mai 2023, Wolfram Quellmalz

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