Rezital mit Emanuel Ax
Die Dresdner Musikfestspiele (DMF) bieten innerhalb ihres Festspielprogramms verschiedene Reihen (wie »Originalklang«) oder gar ein Festival im Festival. Zu letzterem gehören – naheliegend beim Titel »schwarz und weiß« die »Tastenspiele« verschiedener Pianisten. Emanuel Ax kehrte am Freitag und Sonnabend zu den DMF zurück, diesmal für ein Rezital im Palais im Großen Garten. Und das war ganz anders als bei seinen letzten Auftritten (Mozart mit den New Yorker Philharmonikern) ganz auf die Solobühne und zwei Komponisten ausgerichtet: Franz Schubert und Franz Liszt. Liszt hat zahlreiche Werke für sein Instrument bearbeitet, neben Beethoven-Sinfonien, die später zu den »Tastenspielen« zählen werden, auch Lieder von Franz Schubert. Der Zugang ist konzentriert, konzis und auf der Höhe (oder der Überhöhe) von Liszts pianistischem Schaffen, freilich nicht unumstritten. Emanuel Ax band die Werke der beiden Komponisten so dicht zusammen, daß er im ersten Konzertteil gar nicht von der Bühne ging, sondern die unterschiedlichen Werke fast direkt folgen ließ.

Wilhelm August Rieder: Franz Schubert, Portrait nach einer Aquarellvorlage (Bildquelle: Wikimedia commons), Emanuel Ax (Photo: DMF, © Nigel Parry), Henri Lehmann: Portrait von Franz Liszt (Bildquelle: Wikimedia commons)
Das wäre so gar nicht nötig gewesen – warum nicht etwas Atem schöpfen? Daß schon Schuberts Klaviersonate A-Dur (D 664) dem Lied nahe ist, wurde nicht nur den vorn im Publikum Sitzenden klar, die Emanuel Ax singen hören konnten. Ax fand im Allegro moderato Schuberts vorwärtsdrängenden Ambitus und Erdenschwere Melancholie, ließ das Andante vielschichtig perlen und ins Allegro übergehen – hier war Schubert Mozart ganz nahe!
Dabei hat Schubert sich gar nicht so sehr »umgeschaut« – nach vorn hat es ihn gedrängt, zu neuen Formen, aber auch in die Nähe von Textursprüngen. Franz Liszts Bearbeitungen von »Aufenthalt« (S 560 / 3) und »Liebesbotschaft« (S 565 / 2), »Der Müller und der Bach« (S 565 / 2) sowie »Horch, horch! Die Lerch« (S 558 / 9) scheinen teils etwas überdimensioniert (»Aufenthalt«, »Horch«), jedoch nicht so parfümiert wie manche Kammermusikfassung mit Bläsern von heute. Emanuel Ax präsentiert sie ausgewogen und mit delikatem Anschlag, läßt die »Liebesbotschaft« munter sprudeln, findet im »Müllerlied« tiefe Versunkenheit.
Wie weit Franz Liszt zu gehen vermochte, verrät sein »Vallée d’Obermann« aus den »Années de pèlerinage«. Hier spannt sich nicht nur eine weite Landschaft zwischen zarten Piani und orgelhafter Opulenz, Emanuel Ax schenkt dem Publikum auch hier den Gesang des Flügels.
Die dramatische Zuspitzung, die »Vallée d’Obermann« üppig schießen durfte, übertraf Franz Schubert in seiner Sonate B-Dur (D 960), der wohl phantastischsten, noch um vieles – und blieb doch konzentrierter. Schwarz und weiß taucht hier nicht nur in den Tasten, sondern Stimmen und der Dramatik auf, im Schimmer, dem Licht, dem geheimnisvollen Baß und dem Liedpoeten, der sich im zweiten Satz offenbart. Das Andante sostenuto bereitet mit Emanuel Ax süßeste Verzückung, Scherzo und Allegretto nimmt der Pianist danach dichtgefaßt, aber genau. Er »staucht« sie nicht, sondern überträgt den Federschwung aus dem dritten Satz ins Finale, in dem die Gegensätze von Scherzo drammatico und munterem Mittelteil die Ambivalenz einer Seele offenbaren: tief verinnerlicht und nach außen drängend.
Was sollte dem noch als Zugabe folgen? Ein virtuoser Liszt oder doch noch einmal Schubert? – Beide: Schuberts Ständchen (S 560 / 7).
20. Mai 2023, Wolfram Quellmalz