Klavierabende mit Radu Lupu und Nelson Freire

Gleich zwei Großmeister kamen innerhalb von nicht einmal zwei Wochen nach Sachsen, um die hohe Kunst des Klavierabends zu zelebrieren. Der eine – Radu Lupu – nach Dresden in die Semperoper, der andere – Nelson Freire – ins Gewandhaus zu Leipzig. Beide sind etwa gleich alt und gleich lange als Pianisten aktiv, beiden gemein ist auch ein Hang zur Zurückgezogenheit. So macht sich Radu Lupu im Aufnahmestudio rar, während sich Nelson Freire nach großen Anfangserfolgen selbst eine lange »Auszeit« auferlegte. Ihre Programme und Gestaltungen waren dennoch vollkommen verschieden.

Nelson Freire, als Wunschpartner von Martha Argerich, »Tastenlöwe« und für Stücke spanischer oder südamerikanischer Komponisten bekannt, hatte diesmal neben der Wiener Klassik auch impressionistisch geprägte Stücke im Programm. Beethovens Andante F-Dur WoO 57 geriet zum perlenden, sanft pochenden Entrée, welches mit lyrischer Musikalität und Stille sofort alle Aufmerksamkeit des gut besetzten großen Saales für sich beanspruchte. Freire fokussierte einen Klang ohne Kanten oder Härte – spielerisch. Vielleicht wäre er gern – wie auch bei den anderen Stücken des Abends – ohne Pause zur c-Moll-Sonate op. 111 übergegangen, in der das spielerische und leichtfüßige noch mehr überwog. Im ersten Satz fehlte es aber an Klarheit, an con brio, die feinen Strukturen waren teilweise verschwommen und verwischt, das Maestoso stark betont. Dagegen gewannen die Variationen des zweiten Satzes durch farbige Charaktere bzw. Stimmungen.

Das spielerische und leichte Element behielt – von wenigen Ausnahmen wie der düsteren Habanera in Claude Debussys »La soirée dans Grenade« Nr. 2 – nach der Pause die Oberhand. Mit »Les collines d’Anacapri« und »Poissons d’or« begann und endete die Debussy-Trias, welches nahtlos in zwei Preludes (h-Moll, Nr. 10 und gis-Moll, Nr. 12) aus op. 10 von Sergej Rachmaninow mündete und das impressionistische Flirren beibehielt. Dagegen strich Nelson Freire die Dramatik Frédéric Chopins (Ballade Nr. 4, Berceuse Des-Dur, Polonaise As-Dur) besonders heraus, nahm hier die Leichtigkeit und die manchen enthaltenen Walzerrhythmus zurück und glänzte mit brillanten, »polterfreien« Läufen. Den »Tastenlöwen« hatte Nelson Freire wohl zu Hause gelassen – aber vielleicht ist es auch einfach so, daß derartige Vergleiche oder Etiketten für ausbalancierte und nuancierte Pianisten einfach nicht hinreichen.

Und Radu Lupu? Der nachdenkliche und grüblerische? Er hatte Schumann und Schubert aufs Programm gesetzt, doch mit den »Kinderszenen« op. 15 und einer Auswahl aus den »Bunten Blättern« op. 99 auch zwei kleinteilige Werke der großen und schwergewichtigeren Sonate in A-Dur D. 595 gegenübergestellt – und damit von vornherein ein Ungleichgewicht geschaffen.

Nachdenklich und zumindest ein wenig grüblerisch gestaltete Lupu die Kinderszenen und schaffte genau dadurch Authentizität – der erwachsene Mensch erinnert sich an Kinderszenen, vielleicht die eigenen? Diese Kinderwelt nahm gefangen, da war nicht nur die »Träumerei« verträumt gespielt. Doch waren auch einige Akzente besonders herausgestrichen und Lupu donnerte ganz ordentlich, wie in der »wichtigen Begebenheit«.

Mit dem zweiten Schumann-Zyklus rundete Radu Lupu diese Bilderwelt zwar ab, doch waren es der Bilder nicht zu viel? Nach diesen aufgetürmten und detailreichen Eindrücken fehlte es an einer Brücke zu Schubert (es fehlte aber auch an Stille im Publikum!).

Nach der Pause dann als großer Gegensatz Franz Schuberts vorletzte Sonate in A-Dur. Ungleich schwerer und komplexer fällt dieses Werk des noch jungen, aber gereiften Schubert aus (in Anbetracht seines frühen Todes kann man schließlich nicht von »Spätwerk« sprechen). Sie enthält sowohl innige als auch heitere Passagen, Rückblick und Ausblick, Sinnen und Stürmen. Radu Lupu gab ihr – auch hier der Erinnernde, Reflektierende – vor allem Tiefsinn und Reflektion, aber auch Schwere. Oder lag es doch an der Programmgewichtung? Die Leichtigkeit zumindest ging dem ersten Satz etwas verloren. Im zweiten Satz fand Lupu dann (s)einen Ruhepunkt, schien zu fragen und zu klagen, auch hier mit einer gewissen Sinnschwere beladen, wollte sich die Leichtigkeit noch nicht ganz einstellen. Sie kam dann aber doch, im Scherzo, das mit aller Lebenslust und -freudigkeit die grüblerischen Gedanken beiseite schob und so für eine Wendung, zurück zu Schumanns Kinderszenen und Erinnerungen sorgte. Und bei dieser Hinwendung, Umkehrung, Zuwendung, blieb es dann.

Dies war leider auch schon der letzte Auftritt des Capell-Virtuosen der laufenden Saison. Schön, daß der Publikumszuspruch (die Semperoper dürfte ausverkauft gewesen sein) derart groß gewesen ist. Schön auch, wenn neues Publikum hinzugewonnen wird, doch sollte sich doch irgendwann einmal herumsprechen, wie störend Huster und quietschende Hörgeräte in Konzerten sind!

Wolfram Quellmalz

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