Seit einigen Jahren eröffnet das Gustav Mahler Jugendorchester die Saison der Staatskapelle Dresden. Diesmal hatten beide Orchester die Plätze allerdings getauscht. Nach Sofia Gubaidulina und Anton Bruckners neunter Sinfonie bekam das Publikum in der Semperoper nun die siebente und zuvor Wolfgang Rihms zweites Klavierkonzert zu hören.
Seinen Ursprung hat das Gustav Mahler Jugendorchester 1986 bei Claudio Abbado, dem es auch bis zuletzt am Herzen lag. Heute ist es das vielleicht bedeutendste europäische Jugendorchester, die Liste der Dirigenten und Solisten ist lang und voller bedeutender Persönlichkeiten. Aktuell – das nur nebenbei – zählen knapp 120 Studentinnen und Studenten zum Orchester, wobei der Anteil der Studentinnen auffallend hoch ist: von zwölf ersten Geigern beim Konzert in Dresden waren es allein elf, im Orchester machen sie fast 60 Prozent aus; allein bei den Violinen, Violen und Violoncelli über 80 Prozent.
Zu Beginn des Konzertes öffnete das Programm die Zuhörerohren mit Olivier Messiaens »Les offerandes oubliées« (»Die vergessenen Gaben«). Ein stetiger Streicherklang, nur wenige getragene Akkorde stehen am Anfang, bevor zunächst die Bläser ein Motiv spielen. Mit einem Einwurf der zweiten Streichern und der Pauken beschleunigt das Werk dann und nimmt Fahrt auf, entwickelt Motive, verkettet sich, wird auch einmal wilder, findet aber immer wieder Ruhepunkte und meditative Sequenzen, schwebt schließlich und scheint nach oben zu steigen. Christoph Eschenbach führte schon hier die unterschiedlichen Gruppen von Instrumentalisten und Motiven zusammen und gab der Meditation Raum.
Die Bedeutung des Gustav Mahler Jugendorchesters läßt sich auch daran ablesen, daß es Werke bedeutender Komponisten zur Uraufführung bringt. Wenige Tage vor ihrem Auftritt in Dresden wurde Wolfgang Rihms zweites Klavierkonzert in Salzburg aus der Taufe gehoben. Das Wieder-Schöpfen geschah dann auch in Dresden mit großer Leidenschaft.
Das Werk ist fremden Klängen vorbehalten und knüpfte so in schöner Weise an Messiaen an. Wie dort sind trotz großem Orchesterapparat nur selten alle Instrumente im Einsatz, somit ist das Klavierkonzert einerseits kein lautes, zum anderen wandelt es stetig nicht nur Melodien und Töne, sondern auch Charakter und Stimmung. Grundsätzlich ist es träumerisch veranlagt, nähert sich hier dem Jazz und erinnert vielleicht am ehesten an Ravel (soweit man einen derartigen Vergleich zulassen möchte). Auch meditative Sequenzen gibt es, und immer wieder ist es die Klarinette, welche dem Stück neben dem eigentlichen Soloinstrument Farbe verleiht. Das Werk besteht zwar nur aus einem Satz, dieser setzt sich aber aus vier Teilen zusammen. In der zweiten Hälfte kommt es zu deutlichen Beschleunigungen, auch geben nun rhythmischere (Pochen) und einige grelle Streicherpassagen den Puls vor. Statt der Klarinette tragen nun Solovioline und -cello ihres bei und sorgen vor allem wieder für Beruhigung, bevor sich das Stück stufenweise dem Finale nähert. Mit Tzimon Barto hatten Christoph Eschenbach, das Orchester und auch Wolfgang Rihm (welcher der Aufführung beiwohnte) kongeniale Partner gefunden. Gleich nach Sofia Gubaidulinas zweitem Violinkonzert konnte also ein weiteres zeitgenössisches Werk wirklich begeistern (was für die Zukunft der klassischen Musik hoffnungsfroh stimmt).
Anton Bruckners siebente Sinfonie war das zweite Hauptwerk des Abends, auch ihm widmeten sich Dirigent und Orchester mit Kraft, Ausdauer, Disziplin und Hingabe. Das Werk, in der Komposition schon etwas jugendlicher angelegt als die tags zuvor noch aufgeführte neunte, wurde vom Gustav Mahler Jugendorchester ganz frisch aufpoliert und mit Leichtigkeit gespielt. Aber auch klanggewichtige Stellen – denn nun konnte sich das große Orchester im ganzen entfalten – waren voller Anspielungen und Details. Da sang ein Morgenvogel in der Dämmerung (1. Satz, Flöte), hob sich der Nebel oder Schleier (2. Satz), gab es Innehalten, Erinnerung. Beethoven schien im dritten Satz zu grüßen (Horn), und schließlich wurden all diese Gedanken im Finale kraftvoll ausformuliert. Niemand hob hier ab, der Klang blieb jederzeit durchhörbar, ohne Rausch berauschend. So schön kann es klingen, wenn die besten Musikstudenten Europas, von kundiger Hand geführt, musizieren!
4. September 2014, Wolfram Quellmalz