Unter dem Motto »Neue Perspektiven« stellten die Dresdner Kapellsolisten unter Helmut Branny Kompositionen von Franz Schubert und Johann Sebastian Bach gegenüber und hatten »Fünf Menuette mit sechs Trios für Streichorchester« D 89 an den Beginn des Abends gesetzt. Die launigen Stücke, ein Jugendwerk des sechzehnjährigen Schubert, spielen mit vielfältigen Formen, sind festlich, haben aber auch »Wiener Schmäh« und Finesse. Die Kapellsolisten führten sie als Ouvertüre beschwingt aus und gaben ihnen große Leichtigkeit und Frohsinn. Das mittlere d-Moll-Menuett war bereits ein erster Höhepunkt, zu dem die Musiker vorführten, welche Eleganz Schubert schon so früh zu erreichen vermocht hatte.
Über die nachfolgenden sechs Lieder ließe sich natürlich streiten. Denn die komplexe, grüblerische und tiefsinnige Klavierbegleitung für Streichorchester zu bearbeiten, bedeutet eigentlich, den heiligen Gral anzurühren. Immerhin: Kein geringerer als Alexander Schmalcz, der als (Schubert-)Klavierbegleiter bereits mehrfach mit Matthias Goerne in Liederabenden und Aufnahmen zusammengearbeitet hat, zeichnet für diese Arrangements verantwortlich. Mit der Erweiterung und Vergrößerung der Stimmen werden die Lieder natürlich ihrer Intimität beraubt. Vor allem die durch Oboe, Flöte und Fagott hinzugefügten »Farben« waren manchmal zu dicht und schienen nicht immer das rechte Maß zu haben, auch im Verhältnis zum Anteil des Sängers. Die Aufführung in der Frauenkirche gab den Liedern aber dennoch den Raum, sich weiter zu entfalten, als dies in einem normalen Konzertsaal der Fall sein kann.
Über allem strahlte diese Stimme, dieses Stimmerlebnis Matthias Goerne. Keiner vermag wohl momentan Schubert’sche Lieder derart betörend und entrückt wiederzugeben! Geheimnisvoll waren die Orchesterlieder auch, nicht nur in »Des Fischers Liebesglück«, das so voller Schatten scheint. Goerne hauchte und füllte den ganzen Raum aus. Mühelos und hörbar bis in leisestes Flehen schwebten seine Töne durch das Kirchenschiff. Man merkte es dem Bariton an, wie anders die Situation auch für ihn im Vergleich mit einem Liederabend sein muß und daß ihm diese Aufführung Freude bereitet hat. In Gesten und Mimik gestaltete er die Lieder fast schon halbszenisch. Das Orchester untermalte Matthias Goerne stets, übertönte ihn nie, da war eine innige Verbundenheit – und ein schelmisches Augenbrauenzucken in Richtung des Dirigenten nach dem dritten Lied (»Ganymed«). Hingebungsvoll sang Matthias Goerne, dieses Phänomen, von »Heimweh«, »Abendstern« und »Pilgerweise«, und steigerte sich am Ende – ganz ohne Krafteinsatz – zu »Alinde«, welche er inniglich anrief. Mit der Zugabe »Stimme der Liebe« schloß er den von kurzen Szenen bis fast an kleine Balladen reichenden Liedteil ab.
Der Umschwung nach der Pause war dann groß, denn als nächstes erklang das dritte der »Brandenburgischen Konzerte« Johann Sebastian Bachs und damit festliche, höfische Barockklänge. Auch hier gewann die Musik durch Zurücknahme. Nicht auftrumpfend gestaltete Helmut Branny das G-Dur-Konzert, sondern klar und licht wie den Beginn mit Schuberts Menuetten. Auch das Doppelkonzert für zwei Violinen BWV 1043 profitierte von dieser Sichtweise. Trotz aller Unterschiedlichkeit der Stücke war das Feierliche vielleicht das verbindende Element des Abends. Prägend aber – was sonst? – ist diese Stimme gewesen.
14. September 2014, Wolfram Quellmalz