Beethoven geht immer? Gleich mehrere Zyklen hat die Philharmonie in den letzten Jahren gespielt. Sinfonien mit Markus Poschner und Kurt Masur, alle Klavierkonzerte mit verschiedenen Pianisten. Am Wochenende hat sie mit der Kombination Michael Sanderling – Freddy Kempf nachgelegt: drei Ouvertüren, drei Klavierkonzerte und drei Sinfonien in drei Konzerten an den beiden Tagen. Das Schauspielhaus war voll – Beethoven geht immer.
Aber »gehen« soll es auch musikalisch. Da müssen sich Partner finden, sollten Interpretationen schlüssig sein. Diese Gratwanderung ist am Sonnabend zumindest in der ersten Konzerthälfte gelungen. Mit der »Fidelio«-Ouvertüre (am Sonntag folgten »Egmont« und »Die Geschöpfe des Prometheus«) begann Michael Sanderling seine Feinarbeit, die darauf ausgerichtet war, Details hörbar zu gestalten, freizukitzeln, wie den Dialog zwischen Horn und Klarinette. Mit luzidem Streicherklang nahm die Philharmonie Fahrt auf, gestaltete die Ouvertüre als spannungssteigerndes Eingangsstück.
Mit dem dritten Klavierkonzert (Sonntag: vier und fünf) in c-Moll führte Michael Sanderling diese Lesart fort. Freddy Kempf begann das Werk sorgsam und mit angemessen wenig Pedal, tupfte die Themen des Klavieres sanft in den Raum, bevor er sein Instrument mit dem Orchester verschmelzen ließ. Die Kadenz des ersten Satzes spielte er mit Schicksalsschlägen, vermied aber Phrasen, beließ den Mittelteil als lyrische Träumerei. Das Largo gestalteten Michael Sanderling und Freddy Kempf voll sanfter Poesie. Für Gänsehaut sorgten nicht nur silbrige Soli, die aus dem Orchester purzelten, sondern auch der Klang, wenn sich tiefe Streicher und Hörner so wunderbar verbanden wie im zweiten Satz. Auch im dritten dann, rasch angeschlossen, schimmerten Schicksalsmotive, doch kann der Satz einen heiteren, zukunftsfrohen Inhalt nicht verbergen. Michael Sanderling betonte dies, zog das Tempo an und bereitete einen wahren Triumpf-Schluß. Für seine hinsichtlich der Abstufung Ausdruckskraft wie Nachdenklichkeit ausgewogene Interpretation wurde Freddy Kempf, der hier zum ersten Mal spielte, mit viel Applaus bedacht, für den er sich – noch einmal in c-Moll – mit dem Adagio cantabile aus Beethovens Klaviersonate Nr. 8 bedankte.
Und nach der Pause dann die fünfte Sinfonie (am Sonntag: sechs und sieben), deren erste Takte zu den bekanntesten und mit Sinn und Deutung beladendsten (belastetsten) der Musikgeschichte gehören. Ausgerechnet dieses Werk trübte den Eindruck des Konzertes – trotz aller Detailfreude. Den magischen Beginn nahm Michael Sanderling so kurz – ob es dem Kampf mit der Akustik oder der Vermeidung von Pathos zuzurechnen war – es ist ein abgebrochenes Schicksal gewesen, auch wackelte es hier und da leicht im Blech. Zu entdecken gab es trotzdem viel, wie einen mit dunklen Streichern schön gefärbten dritten Satz oder famos vibrierende Violen im Finale. Dennoch – es fehlte dem Stück am »Guß«.
7. Juni 2015, Wolfram Quellmalz