Mit einem chorsinfonischen Konzert begann das Sommersemester der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden am Sonnabendabend festlich im Konzertsaal der Hochschule, am Sonntagmorgen wurde das Programm noch einmal in der Semperoper wiederholt. Gleichzeitig war dies Anlaß, das diesjährige Carl-Maria-von-Weber-Stipendium an Pascal Kaufmann zu vergeben, der derzeit als einer von ganz wenigen an beiden Musikhochschulen studiert und sowohl einen Abschluß für sein Instrument, die Orgel (Pascal Kaufmann beherrscht gleichermaßen andere Tasteninstrumente wie Klavier und Cembalo), sowie als Kirchenmusiker (Hochschule für Kirchenmusik) anstrebt.
Den musikalischen Teil der Veranstaltung eröffnete ein Werk des in Barcelona geborenen und ebenfalls in Dresden studierenden Alberto Arroyo. Dieser hat bereits mit namhaften Partnern wie dem ensemble recherche zusammengearbeitet, viele seiner eigenen Werke in Europa dirigiert und ist außerdem mit musiktheoretischen Artikeln in Erscheinung getreten.
Sein »Se una notte…« (Étude Nr. 3 für Orchester in einem dunklen Raum »obbligato«) ist von Italo Calvinos »Wenn ein Reisender in einer Winternacht« inspiriert, nutzt es jedoch als Anregung, zur Auslösung einer Stimmung, und soll es nicht inhaltlich darstellen oder im Charakter nachempfinden. (Calvinos Buch wurde in den Neuen (musikalischen) Blättern bereits einmal vorgestellt: Ausgabe 13, Seite 6.) Dafür hat Alberto Arroyo das Orchester aufgeteilt, läßt den großen Apparat sogar einmal »zerfallen« und von zwei Dirigenten leiten, hat aber auch einzelne Instrumente oder kleinere Gruppen im Raum plaziert (im Proszenium der Semperoper sowie in der Königsloge). Im Kern spielt Alberto Arroyo mit dem Wachrufen von Empfindungen und Eindrücken und nutzt dabei das Mittel der Imitation. Mit einem Schlag (Impuls) wird »Se una notte…« ausgelöst, von hier breiten sich Klangwellen aus. Keines der Instrumente spielte dabei »seinen« eigenen Klang, sondern imitierte andere, Bögen wurden zum Schlagen, nicht zum Streichen verwendet, Raunen ging durch das Orchester, Bläser sprachen kurze Worte – auch hier nicht das verlesen von Texten, sondern das Erzeugen eines »als ob«. Im bis auf die Pult- und Notlichter abgedunkelten Saal entstand eine Stimmung wie im Traum oder der Phase des Erwachens, wenn der Erwachende die Geräusche der Umgebung wahrzunehmen beginnt, Worte hört, aber nicht verstehen kann. Nur selten, am Ende etwa, erklangen kurze Melodiefetzen, aber auch diese, wie von den Streichern, erschienen verborgen, wie hinter Vorhängen gespielt.
Als Klangexperiment (ein Türschlagen zum Schluß gehörte wohl dazu) war dies äußerst präzise gespielt, hochinteressant und anregend, in der Wahrnehmung als Musik kam es beim Publikum aber noch nicht bzw. nur zum Teil an – höflicher Applaus.
Mit Beethovens Klavierkonzert C-Dur betrat der chinesische Pianist Mu Xu die Bühne der Semperoper. Er studiert derzeit in der Meisterklasse von Arkadi Zenzipér und kann schon heute durch ausgefeilte Akzente und einem flüssigen, leichten Vortragsstil überzeugen. Zwischen leisen, verhaltenen Passagen und wahrhaft Beethoven’schem Losstürmen nutzte er eine ganze Gestaltungspalette. Die Musiker des Hochschulorchesters, wie schon bei Alberto Arroyos »Se una notte…« geleitet von Ekkehard Klemm, hatten das Üben während der Ferien offenbar nicht vernachlässigt und beeindruckten auch hier mit Präzision und Homogenität. Sie füllten auch den großen Saal der Semperoper »spielend« aus.
Nach der Pause erklang schließlich Franz Schuberts Messe Es-Dur. Außer den Solisten (Jiheon Lee und Teaa An – Sopran, Aneta Petrasová – Alt, Seongsoo Ryu und Christopher Renz – Tenor und Jussi Juola – Baß) war riesiger Hochschulchor auf der Bühne – fast jeder, der an der Hochschule studiert, ist Mitglied. Demzufolge dürften (bis auf wenige Ausnahmen) nahezu sämtliche Studenten der Musikhochschule aktiv am Konzert mitgewirkt haben. Und dies taten sie offenbar mit Freude. Karl Hänsel, ein Student aus der Klasse von Hans-Christoph Rademann, hatte die Leitung übernommen und führte die vielen Musiker souverän durch das Werk. Daß diese Arbeit (und wohl ebenso die Vorbereitung) fruchtbar gewesen war, davon zeugte der Extraapplaus und -jubel der Chormitglieder für ihren Dirigenten.
Der Hochschulchor, im Charakter hell und jung, konnte ebenso kraftvoll (»Gloria«) wie auch besänftigt (»Credo« und »Sanctus«) klingen. Wunderbar gelang das Zusammenspiel von Orchester, Chor und Solisten, als sich die Stimmen zum Beispiel im »Credo« auf dem Wort »saeculi« trafen. Besonders schön gelangen aber das Terzett im »Credo« (Jiheon Lee, Seongsoo Ryu und Christopher Renz) sowie das Quartett im »Benedictus« (Teaa An, Aneta Petrasová, Seongsoo Ryu und Jussi Juola).
21. März 2016, Wolfram Quellmalz