»Messiah« mit dem Collegium 1704 in der Dresdner Annenkirche
Zum Konzert am Neujahrstag des vergangenen Jahres hatte es bereits einmal einen Ausblick gegeben – damals hatten das Collegium 1704 und das Collegium Vocale 1704 nach dem »Utrechter Te Deum« und dem »Dixit Dominus« Georg Friedrich Händels den Schlußchor aus dem zweiten Teil des »Messias« als Zugabe erklingen lassen und damit zahlreiche Hoffnungen beim Publikum geweckt. Am Ostermontag gab es den gesamten »Messiah« (natürlich in der englischen Originalfassung).
Nun hat man mit den beiden Ensembles schon vieles großartige erlebt und könnte sich fragen, ob (bzw. wie) dies noch zu steigern sei oder ob so berühmte und populäre Werke nicht die Gefahr einer Enttäuschung bergen. Auf der anderen Seite haben die Prager Musiker längst mit Passionen Johann Sebastian Bachs und seinem Weihnachtsoratorium überzeugt (und manch einer wartet auf Wiederholung). Bedenken dürfte daher kaum jemand gehabt haben, nur Vorfreude und die Gewißheit auf einen wundervollen Ausklang der Ostertage. Und – das sei hier schon verraten – auch in der kommenden Spielzeit werden die beiden Collegia ihr Publikum mit Wiederentdeckungen und musikalischen Meilensteinen verwöhnen. Neben Musik von Claudio Monteverdi (Vespro della beata Vergine am 28. Oktober), Johann Sebastian Bach (Johannes-Passion am 8. April 2017) und Jan Dismas Zelenka (mehrfach) wird dann ebenso solche aus Versailles zu hören sein (4. Februar 2017), am 5. Dezember gibt es ein vorweihnachtliches Konzert in kammermusikalischer Besetzung.
Für Händels »Messiah« waren Chor und Orchester in großer Besetzung angereist, als Solisten hatte man Marie-Sophie Pollak (Sopran), Raffael Pe (Alt), Krystian Adam (Tenor) und Krešimir Stražanac (Baß) gewonnen.
Bei Alter Musik schätzen viele unter anderem den warmen, geschmeidigen Klang der Instrumente, die oft weniger Strahlkraft als ein Sinfonieorchester, dafür aber mit um so mehr Farben entwickeln. Statt eines homogenen einzelnen »Klangkörpers« erlebt man ein sich in Charakter und Temperament stetig wandelndes Collegium, bei dem selbst größer besetzte Passagen durchsichtig und durchhörbar bleiben, wie man dies sonst nur von kleineren Ensembles kennt. Schon in der einleitenden Sinfonia (ebenso in der Pastorale später) ließen sich die Einzelstimmen nachvollziehen, so daß selbst die Theorbe wahrnehmbar zum Werk beitrug. Für besondere Klangpracht wiederum sorgten Trompeten und Pauken, die im Chor Nr. 15 »Glory to God in the highest« und natürlich im »Hallelujah!« Betonung und Steigerung unterstrichen. Dies aber jeweils dezidiert und angemessen, denn so wie der Text aufeinander aufbaut und einen Bezug zum vorhergehenden hat, kann auch die Musik auf die bloße Ekstase des Augenblicks verzichten, wenn sie die Leuchtkraft von Chor und Orchester als Zentrum versteht. Am prachtvollsten gelang dies in »Behold, I tell…« und »The trumpet shall sound« (Nr. 42, 43), wozu die blitzsaubere Trompete (Hans-Martin Rux) nicht nur begleitete, sondern ebenso einleitende Soli spielte.
Von betörender Qualität waren einmal mehr die Solisten. Krystian Adams »Comfort ye my people« enthielt bereits ein inniges Trostversprechen, auf das der Chor mit Jubel (»And the glory, the glory of the Lord«) antwortete. Immer wieder unterstrich das Collegium 1704 unter Václav Luks geradezu lautmalerisch die Situation, wie das prasselnde (Text: läuternde) Feuer in der Alt-Arie »But who may abide«, wenn die Streicher peitschend wie in »He was despised« (zur Zeile »He gave his back…« / »Er hält den Rücken denen hin, die ihn schlugen«) spielten oder die Völker in »Why do the nations so furiously rage together?« rasten. Krešimir Stražanac erwies sich nicht nur hier als herausragender, kraftvoller, ausdrucksstarker und überaus beeindruckender Baß, der sein Publikum in Westminster Abbey zu führen schien. Artikulation und Ausdruck sind in Oratorien zwingende Attribute, keines kann auf Kosten des anderen hervorgehoben werden. Auch Marie-Sophie Pollak mit klarem, engelsgleichem Sopran und Raffael Pe (dessen atemberaubende, mit zahlreichen Tonsprüngen versehene Partie einst Thomas Arnes Schwester Susanna Maria Cibber sang, möglicherweise hat Händel sie für ihre Stimme komponiert) beindruckten durch Wortverständlichkeit und Klang. Immer wieder gab Václav Luks seinen Solisten die Gelegenheit, Gestaltungskraft zu entwickeln. Diese Gelegenheit zu nutzen forderte er aber auch ein – die vier Sänger wußten es umzusetzen.
Über zweieinhalb Stunden randvoll mit Händel – ließe sich das noch einmal steigern, oder sollte mit dem letzten »Amen« das letzte Wort gesagt sein? Nein, natürlich nicht. Doch selbst die Wiederholung des (Was denn sonst?) »Hallelujah!« hatte keinen unermeßlichen Überschwang und auch sie ergab sich – jetzt mit den vier Solisten, welche die Chorpartie mitsangen – aus der Aufführung. Nicht nur elektrisierend, geradezu mesmerianisch war dieser Abend!
29. März 2016, Wolfram Quellmalz
nächstes Konzert: Freitag, 22. April (Händel: Kantaten)
eben auf CD erschienen: Weltersteinspielungen von Jan Dismas Zelenka (Missa Divi Xaverii ZWV 12, Litaniae de Sancto Xaverio ZWV 156)