Sonderkonzert am Gründungstag der Staatskapelle
Wie schon im Vorjahr beging die Staatskapelle ihren Gründungstag mit einem Sonderkonzert. Und wie 2015 ließ sie Werke der sie prägenden romantischen Epoche aus, besann sich auf frühere Wurzeln sowie auf die aktuelle Capell-Compositrice. Während man sich aber im Vorjahr noch mit verschwindend kurzen Miniaturen begnügen mußte, erklang mit Sofia Gubaidulinas »Meditation über den Bach-Choral ›Vor Deinen Thron tret‘ ich hiermit‹« ein sowohl hinsichtlich der Länge als auch des Inhaltes vollwertiger Werkbeitrag aus dem Schaffen der Residenzkomponistin.
Die Staatskapelle begann den Abend unter der Leitung Alessandro De Marchis mit Johann Sebastian Bach. Dieser hatte, trotz zahlreicher Bemühungen, kein Amt am Hof erhalten, immerhin aber den Titel eines »Königlich polnischer und kurfürstlich sächsischer Compositeur bey Dero Hof-Capelle« verliehen bekommen. Zwar hat Bach seine Werke für andere Höfe und Kapellen geschrieben, war aber mehrfach in Dresden zu Gast, besuchte mit seinem Sohn Wilhelm Friedemann Konzerte in der Residenzstadt und hat über den (mutmaßlichen) Wettstreit mit Louis Marchand hinaus musikalische Spuren an der Elbe hinterlassen. Die Staatskapelle folgte diesen mit der ersten Orchestersuite C-Dur (BWV 1066), welche sie luftig, klar und mit großer Lebhaftigkeit zelebrierte. Alessandro De Marchi zeigte sich schon hier als Feinzeichner, der Schattierungen abstufte, Akzente herauskitzelte und geschmeidige Übergänge schuf. Ganz ohne Anspruch auf »Originalklang« spiegelte die Kapelle Bach ihren persönlichen, individuellen Klang wider.
Vom Widerspiegeln erzählte auch Sofia Gubaidulinas Werk »Meditation…«. Diesem liegt ein (fast) mathematisches Schema zugrunde, das auf den Namen und die Buchstaben B-A-C-H aufbaut, beständig Bezüge zwischen Themen und Instrumenten schafft, Gedanken zu reflektieren scheint. Während sich Cembalo und Streichquintett (mit Kontrabaß) zunächst gegenüberstehen, Wechsel als Impuls und Gegenimpuls erfolgen, läßt Gubaidulina aus dieser Folge von Sequenzen schnell eine Gewebe wachsen, in dem jeder musikalische Partikel durch den vorhergehenden bedingt zu sein scheint. Dissonante Klänge sind darin verwoben und stellen keine Bruchstelle dar. Immer wieder zitiert die Komponisten den Choral (oder Teile daraus), läßt ihn im Baß aufklingen, und verbindet grundierende Elemente, Muster, Partikel und Liedmelodie. Einzig die elektronische Verstärkung des Cembalos am Ende, wodurch mit dramatischen Akkordschlägen ein dominierender Klang erzeugt wird, schien weder in bezug auf Bach noch den Choral zwingen schlüssig und wirkte – im Gegensatz zum übrigen Werk – künstlich.
Mit der Missa Nr. 18 d-Moll Johann Gottlieb Naumanns erinnerte die Staatskapelle nach der Pause an einen weiteren Kapellmeister der Vergangenheit. Peter Kopp, der an diesem Abend auch das Cembalo und die Orgel spielte, hatte dafür sein Vocal Concert Dresden vorbereitet. Daß der Chor zu den ersten in der Region gehört, davon konnten sich die Zuhörer am Donnerstag wieder einmal überzeugen. Mit hervorragender Verständlichkeit und hellem, geschmeidigen Klang betonte er den gediegenen, festlichen Charakter des Werkes. Den Schwerpunkt legte er auf die Verkündigung, das Vocal Concert formte mit Leichtigkeit Lichtklang ohne Blendwerk. Das verhältnismäßig kurze Werk hat nur wenig exponierte Passagen für die Solisten Emily Dorn (Sopran), Christina Bock (Mezzosopran), Tenor (Filippo Adami) und Baßbariton (Evan Hughes), die aber gerade in den Duetten und im Wechsel mit dem Chor harmonisch übereinstimmten.
23. September 2016, Wolfram Quellmalz