Collegium 1704 mit Kammermusik in der Annenkirche
Im April schon hatte die Sopranistin Raffaella Milanesi das Publikum mit Händel in der Annenkirche verzaubert, am Montag war sie erneut beim Prager Collegium 1704 zu Gast. Wieder stand Händel auf dem Programm, seine Kantate »Mi palpita il cor«, von der insgesamt (mindestens) vier Fassungen in Abschriften erhalten sind. Diesmal erklang die zweite, HWV 132b also. Wie auch in dem später folgenden »Scherzo« von Agostino Steffani »Spezza, Amor, l’arco« war es ein Liebender, der seiner Geliebten Clori (Händel) bzw. Chlori (Agostini) zürnt, eifersüchtig rast, verzweifelt und dennoch hofft; Kummer, Schmerz und Liebe durchlebt. Raffaella Milanesi fand für den temperamentvollen Wandel zwischen zärtlichem Schmachten und rasendem Aufruhr immer neue Facetten von sanft bittend bis bitter klagend. »La Virtuosissima« war das Programm ihretwegen übertitelt, »La Virtuosissima Cantatrice« verkörperte sie von Beginn an, denn schon Händels einleitendes Rezitativ wartet mit einer Koloratureinlage auf. Perlend, funkelnd streute die Sopranistin ihre Töne in den Raum, sorgte für ein beeindruckendes musikalisches Ein-Frau-Theater und begeisterter mit stimmlicher Brillanz ebenso wie mit treffendem Ausdruck. Dabei waren die zur Verfügung stehenden Mittel vergleichsweise gering, denn diesmal stand ihr das Orchester nur in Kammerbesetzung mit Bläsern und Basso continuo zur Seite. Gleichwohl beindruckten diese mit Geschmeidigkeit ebenso wie mit ausgefeilten Effekten. Wenn bei Agostino Steffani zum Beispiel die Tränen des Liebenden ein rauschendes Bächlein trüben, dann übernimmt das Fagott (Jane Gower) den Begleitgesang von der Oboe (Michael Bosch) und malt dies Rauschen musikalisch aus.
Händel hatte derartige Theaterszenen in Italien zu einer Zeit kennengelernt, als durch ein Edikt des Papstes die Oper zeitweise verboten war. Weltliche Kantaten waren eine Möglichkeit, dies zu umgehen. Mit der Arie »Per trofei di mia costanza« aus der Kantate »Ah! crudel, nel pianto mio« (HWV 78) als Zugabe, die Händel für eine Akademie bei seinem Mäzen Kardinal Pietro Ottoboni geschrieben hatte, verabschiedete sich Raffaella Milanesi mit einer weiteren Klage eines Liebenden von ihrem begeisterten Publikum.
Aus nur sechs Instrumentalisten bestand diesmal das Collegium 1704. Die Oboistin Xenia Löffler teilte sich mit ihrem Kollegen die Gesangsbegleitung und trat in zwei Sonaten Jan Dismas Zelenka mit Jane Gower und Michael Bosch im Trio auf. Keine Streicher diesmal – nur Václav Luks (Cembalo), Tilman Schmidt (Kontrabaß) und Shizuko Noiri (Laute) sorgten für die Baßbegleitung, das aber um so feiner – hier konnte man selbst die Laute neben dem Trio erlauschen. Und auch ohne die Sopranistin wurde einiges geboten, denn Zelenkas Sonaten lassen sich zwar formal der Kirchensonaten- oder Konzertform zuweisen, begeistern aber bei Hören vor allem mit Einfallsreichtum und beeindruckenden Fagott-Soli (Sonate Nr. 5).
Gottfried Heinrich Stölzes Enharmonischer Sonate für Cembalo voller ungewohnter, »unzeitgemäß« scheinender Harmonien rundete das Konzert an zentraler Position ab.
6. Dezember 2016, Wolfram Quellmalz
Tip: Das nächste Konzert des Collegiums 1704 findet am 1. Januar 2017 19:30 Uhr in der Annenkirche statt, Programm: J. D. Zelenka (Dixit Dominus ZWV 66, und Litaniae Xaverianae ZWV 154), A. Vivaldi (Nisi Dominus RV 608)