Mensch, werde wesentlich

Kammerchor des Universitätschores und das Stahlquartett in der Annenkirche

Den Kerngedanken eines Ausspruches von Ernst Stadler (»Mensch, werde wesentlich«) hatte Christiane Büttig, die Leiterin des Universitätschores, für das Programm des zugehörigen Kammerchores aufgegriffen. Die Suche nach einem Glauben als wesentlichen Antrieb fand sich in Werken aus vier Jahrhunderten wieder und sollte anregen, sich auseinanderzusetzen, wesentlich zu werden. Ein Ziel oder Glaubensbild war nicht vorgegeben; schon im Programmtext wies die Dirigentin darauf hin, daß unser Leben einer Reise gleicht, daß nicht nur verschiedene Religionen existieren, sondern auch Atheisten glauben – an weltliche Werte. Als wesentlich kann man also zunächst sehen, daß ein Mensch glaubt, ohne ein Ziel oder einen Zwang für diesen Glauben zu definieren.

Diese Gedanken waren zweifellos eine Einladung zur Aufgeschlossenheit, dazu, den Werken zu folgen, sich anregen zu lassen, auch im kleinen Bestätigung, Glauben zu finden. Dennoch nahm der stetige Wechsel dem Programm Spannung, ein »roter Faden« war nicht auszumachen. Für sich konnte man zwar Zugang zu jedem der Werke finden, die Folge schien aber etwas beliebig, was dem Gedanken des wesentlichen entgegenstand.

Sah man von diesem Anspruch jedoch ab, folgte den Stücken und hörte zu bzw. las mit, fanden sich in der Vielfalt der Werke viele Glaubensansätze, Erfahrungen, Hinweise – Lebenslicht. Nicht zuletzt trug das Stahlquartett zum Charakter des offenen, suchenden bei. Stahlcelli – eigentlich sind es Klangbleche mit Klangstäben, deren Form nichts mit einem normalen Cello gemein hat – sehen archaisch aus und vermögen einen ebensolchen Klang zu erzeugen bzw. einen Klang aus und für alle Zeiten. Man kann die Stäbe oder die Blechkanten anstreichen, beklopfen, stoßen; entsprechend erheben sich Donner, Pfeifen, Raunen, Trompeten, Wind, Rauschen; der träge, meditative Charakter verleitet zum Sinnieren. Die Spieler trugen eigene Kompositionen und eine Improvisation vor, ein Stück aus Béla Bartóks »Mikrokosmos« (eigentlich für Klavier) erschien natürlich verfremdet. Den Chor begleitete das Quartett nur in wenigen Stücken, zurückhaltend, führte in Übergängen aber zum Gesang über.

Neben Franz Schuberts »Deutscher Messe« sang der Chor »Prayers of Kierkegaard« von Knut Nystedt – beides aber in einzelnen Stücken zwischen anderen Werken. Während die ambitionierten Sänger bei Schubert ganz »zu Hause« waren, forderte sie Nystedt mit seinen extremen Stimmlagen und -stufungen spürbar mehr. Gerade angesichts der Vielseitigkeit des Programms muß man vor der Leistung dieses Chores, der ja vom Engagement der Mitglieder nach der eigentlichen Arbeit lebt, den Hut ziehen. Immerhin hatten sie sich in vielen Zeiten, Ausdruckswelten und Sprachen wiederzufinden. Klarer Höhepunkt – und mit sichtlicher Freude musiziert – war »Curse upon iron« (Fluch auf Eisen) des estnischen Zeitgenossen Veljo Tormis (1930 geboren) – zusätzlich verstärkt durch ein Tamburin (Christiane Büttig). Den ausgleichenden Schlußpunkt (und Wunsch) setzte die Dirigentin mit Wolfgang Buchbergers Reisesegen »Von 55 Engeln behütet«.

15. Januar 2017, Wolfram Quellmalz

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