Zeitgenössische Werke der Solocelloliteratur im geh8
Bernd-Alois Zimmermann hatte 1960 mit seiner Sonate für Violoncello solo nicht nur ein wesentliches Werk geschaffen, vielmehr war das Stück ein Initial, das eine ganze Reihe anderer Werke für Cello solo anregte. Diese – heute Klassiker – markieren für Matthias Lorenz die »Alten Meister«, nach denen er seine Konzertreihe benannt hat. Im Mittelpunkt steht jeweils ein Alter Meister, dessen Stück am Anfang und am Ende des Abends erklingt, dazwischen gibt es ein nachfolgendes Werk und eine Uraufführung zu hören. (Die vier Uraufführungen erklingen dann noch einmal gemeinsam im Epilog der Reihe.)
Am Freitagabend erklang im Dresdner »geh8« Helmut Lachenmanns »Pression für einen Cellisten«. Wohlgemerkt nicht »für Cello solo«, denn die Aktion des Spielers wird hier nicht nur musikalisch maßgeblich, sorgt für Klangfärbung, sie ist auch Teil des Kunstwerkes und läßt sich selbst visuell noch nachvollziehen, wenn rechte und linke Hand typische Bewegungen (rechts horizontal und links vertikal) vertauschen oder im Verharren, wenn der Cellist das Intrument quasi umschlingt, beide sogar als Skulptur wahrgenommen werden können.
Wie immer gab es ein Motto bzw. einen Titel des Abends. Dieses Mal hieß es »Leichtigkeit«, womit die Offenheit, das Vermögen und die Lust, sich hinzuwenden und etwas zuzulassen, auszuprobieren, gemeint war. Dennoch erfordert die Auseinandersetzung natürlich Ernsthaftigkeit, denn – so bemerkte Matthias Lorenz in seinen Ausführungen – Leichtigkeit ist nicht unbedingt eine Kernkompetenz der zeitgenössischen Musik.
Wer sich jedoch zuzuwenden und seiner Neugier zu folgen vermochte, fand sich mit Leichtigkeit in eine Klangwelt, in der das Erregen und das Geräusch genauso zum Klang gehören wie die Musik. Manche Werke, wie Klaus Hubers »Transpositio ad infinitum« von 1976, spüren gerade dem Geräusch aus dem Alltag nach, um dem Klang nicht von vornherein eine musikalische Aufgabe aufzuprägen, sondern fragen zu können, woher er denn eigentlich kommt. In diesem Suchen wird der Bogen nicht nur kräftig oder weich gestrichen, geklopft oder werden Saiten gezupft, das Klopfen auf Steg und Korpus gehört ebenso dazu. Das dem Mäzen Paul Sacher gewidmete Stück verarbeitet aus dem Motiv eS-A-C-H-E-Re abgeleitetes Tonmaterial, transformiert und transponiert es in Teilen, die durch den Klang (bzw. das Geräusch) eine charakteristische Färbung erfahren. Besonderen Reiz bekam das Stück durch die zwischen die sozusagen einem Algorithmus folgenden Teile implementierten Einschübe. Gerade der Gegensatz von rufenden Stimmen, Echo oder schließlich fast menschliches Singen vertiefte die sensuelle Wahrnehmung des Werkes.
Matthias Lorenz kommentiert seine Konzerte jeweils, wobei es ihm wichtig ist, diese Kommentare auch als solche zu verstehen und nicht als Erklärungsversuche. Gerade in diesen subjektiv gefärbten Kommentaren liegt ein Schlüssel der Zugänglichkeit. Helmut Lachenmanns »Pression für einen Cellisten« erklangen in der ursprünglichen Fassung von 1970 (Lachenmann hatte das Werk 2010 noch einmal überarbeitet). Die Leichtigkeit beginnt hier mit einem leisen Klangspektrum (was nebenbei gesagt eine interessante Geräuschkombination mit dem auf das Dach des Konzertsaales fallenden Regen zuließ). Streichen, streicheln, reißen, zupfen – ein nahezu bildnerischer Ton entstand, der zu Bildern, Assoziationen einlädt – auch eine persönliche Erfahrung. Wesentlich bei Lachenmanns Werk erscheint aber, daß er nicht nur Klangbeispiele häuft, sondern sie erstens einem Suchen entspringen und zweitens eine Folge haben. Jeder Klanganstoß entspricht so einem Ereignis, das mit einem Nachklang, einer Reflexion oder einem anderen Bezug fortgesetzt wird.
Die Konzertreihe der »Alten Meister« ist ganz dezidiert jener Musik verschrieben, die unsere Zeit, also die Komponisten unserer Zeit, hervorbringen – ein Auftragswerk und eine Uraufführung gehören demzufolge dazu. In diesem Jahr war es »Drift« von Benjamin Schweitzer. Der Begriff des Drifts läßt sich in vielerlei Hinsicht und in bezug auf viele Fachgebiete übersetzen. In der Linguistik ist er ebenso konkret besetzt wie in der Physik. Benjamin Schweitzer hat sich auf den Drift des Eises bezogen, der ein stetiges, veränderliches Treiben ebenso enthält wie ein Entfernen (und Verlust) von Teilen oder ein (vorübergehendes) Haften aneinander. In der Umsetzung bedeutet dies, Klangpartikel zu schaffen, die sich als Gebilde umschließen oder brechen, fließen, sich reiben – driften. Während bei Lachenmann die Ereignisse als Auslöser klangliche Keimzellen waren, rückt Schweitzer einen Verlauf in den Fokus, bis ein Verbund oder ein Gebilde sich auflöst oder zerbricht. Am Ende schienen sich die letzten Kristalle aufzulösen, das Stück wurde leiser, bis es wie ein Widerhall aus der Ferne klang.
25. November 2017, Wolfram Quellmalz
Im kommenden Jahr stehen Isang Yuns »Glissée« und Charlotte Seithers »Rapid chase« (UA) auf dem Programm. Alte Meister III erklingen auch noch einmal am 26. November im Kunstverein Bremerhaven und am 27. November im wilhelm13 Oldenburg.