…aus dem »Schrank No. II«
Robin Peter Müller und das La Folia Barockorchester haben eine neue CD mit Weltersteinspielungen anonymer Komponisten zusammengestellt. Fündig wurden sie nicht per Zufall, sondern gezielt: in den Beständen des (ehemaligen) »Schrank No: II«. Dieser war einst der zweite einer Reihe von fünf Schränken in der Katholischen Hofkirche Dresden. Im 18. Jahrhundert verwahrte die damalige Hofkapelle des Sächsischen Hofes hier die Noten für Instrumentalmusik. Konzertmeister Johann Georg Pisendel gehörte zu den eifrigsten Sammlern und Anregern der Werke. Er stand mit etlichen Kollegen im Austausch, wovon die Notenauswahl noch heute zeugt.
Denn nach langem »Ruhestand« gehören deren Blätter nun zum Fundus der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) und eröffnet Musikern in aller Welt Einblicke ins Dresdner Musikleben des 18. Jahrhunderts, vor allem dessen erster Hälfte. Vivaldi und Albinoni zählen zu den Verfassern der Werke, Pergolesi und Telemann, aber auch heute weniger bekannte Komponisten wie Friedrich Wilhelm Zachow, Francesco Maria Cattaneo oder Johann Christoph Pepusch. Eintausendsiebenhundertsechsundneunzig Werke verzeichnet der Katalog (einsehbar über die Internetseite der SLUB), verzeichnet allerdings auch (oder nur) 40 Verluste, in über zweihundert Fällen ist die Urheberschaft unklar. Aus diesen haben Robin Peter Müller und das La Folia Barockorchester nun eine Auswahl für ihre neue CD mit Wiederentdeckungen aus Dresden getroffen. Ziel war es, den damaligen musikalischen Reichtum der Residenz aufklingen zu lassen, ohne auf große Namen zu setzen. Die meist handschriftlich überlieferten Noten bergen jede Menge köstlicher Fundstücke.
Meist sind es Concerti für Violine, Streicher und Basso continuo, sie zeugen vom italienischen Geist oder Einfluß, von französischer Manier und entwickeln kaum weniger Lebendigkeit als zum Beispiel die Konzerte Antonio Vivaldis. Die Sätze kontrastieren malerisch, wie gleich das Adagio des ersten Concertos in A-Dur, das helle, klare Winterstimmung aufkommen läßt. Einen Wechsel gibt es in der Mitte der CD, wenn sich zwei Oboen und zwei Hörner als Solisten dazugesellen und den Ton noch weiter anreichern. Auch hier gehören die virtuosesten Kadenzen selbstredend dem Leiter. Der heißt nun Müller und nicht Pisendel und versteht es gleichwohl meisterlich, betörend zu singen oder mit scharfen Akzenten Kontraste zu erzeugen.
Das La Folia Barockorchester ermöglicht mit seinem feinen Baß diese meisterlichen Auftritte und beschert auf der CD das gleiche Vergnügen, wie es im Konzert zu erleben ist – mit größter Lebendigkeit und Durchhörbarkeit, also ohne die Extraaufladung eines »Energiesturmes«. So lassen sich Singstimmen und Bässe mit Vergnügen verfolgen. Konzertmeisterin Pia Grutschus und Bläser wie Tatjana Zimre und Daniel Ramírez Escudero (Oboen) sowie Elsa Schindler und Ido Dudler (Hörner) bescheren einen feinen, sächsischen Ton, was nichts anderes heißt als einen gemischten, denn gerade italienische und französische Meister waren im 18. Jahrhundert an der Elbe äußerst beliebt – für den »gemischten Geschmack« war die damalige Hofkapelle berühmt.
Ob Originale, Nachahmungen, Parodien oder »Pastiches« – die Werke sind es allemal wert, wiedergefunden zu werden. Und wenn die Namen der Autoren (oder Autorinnen) unbekannt sind, bürgen jene der Musiker für Qualität. Und für den interessierten Musikfreund hält das informative Begleitheft zur CD noch manchen Aufschluß zu den Werken und den praktischen Problemen, diese aufzuführen.
La Folia Barockorchester (Robin Peter Müller), »Rediscovered Treasures from Dresden« (Deutsche Harmonia Mundi)
21. Dezember 2017, Wolfram Quellmalz