Konzert in der Dresdner Frauenkirche
Den zerstörenden und schrecklichen Charakter des Krieges muß der Mensch offenbar erst – am eigenen Leibe – erfahren, um die Bedrohung zu erkennen und den Frieden zu schätzen. »Nun erfahren wir es leider allzusehr | daß Krieg eine Plage über alle Plagen ist | Denn da gehet Gut weg | da gehet Mut weg | da gehet Blut weg | da gehet alles weg […]« heißt es in Johann Hildebrandts 1645 veröffentlichtem »Krieges-Angst-Seufftzer« drei Jahre vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges.
In diesem Jahr erinnern wir uns nicht nur verschiedener Ereignisse der Vergangenheit, wir heben die Augen auch angesichts einer Gegenwart, die keineswegs konfliktfrei und friedfertig ist. Das Festkonzert des Heinrich Schütz Musikfestes anläßlich seines zwanzigjährigen Bestehens verfiel somit nicht nur in einen großen Jubel, sondern stimmte im Gegenteil nachdenklich – die Botschaft, so der Wunsch von Intendantin Christina Siegfried, möge (auch durch das weitersagende Publikum) in die Welt getragen werden.
Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. In jedem Herbst rückt das Heinrich Schütz Musikfest die Musik eines Übervaters in den Mittelpunkt und trägt es bis in unsere Herzen. »Heinrich Schütz ist einer der großen Genies der Musikgeschichte, seine Musik ist zeitlos, grenzenlos und für immer Teil unser aller kulturellen DNA« sagt Christina Pluhar. Für die »Artist in residence« 2016 ist er ein ständiger Begleiter. Hans-Christoph Rademann, der 2012 die Residenz innehatte, sieht in Schütz einen »Ausleuchter« des Wortes. Er und sein Wirkungsort spiegele sich im Heinrich Schütz Musikfest wider – Grund genug, den Anlaß feierlich zu begehen.
Zum Festkonzert mit dem Titel »Friedens-Freude« am Sonnabend in der Dresdner Frauenkirche hatte Arno Paduch für sein Johann Rosenmüller Ensemble und neun Sänger Werke ausgewählt, die einen dezidierten Bezug zu Dresden oder zum Dreißigjährigen Krieg hatten. Mit Heinrich Schütz‘ Der Herr sprach zu meinem Herzen (SWV 22), zum Reformationsfest 1617 oder 1619 komponiert, begann der Abend freudvoll, fast hymnisch. Die Sänger waren – den ganzen Abend über – jeweils im Zentrum (im Kirchenschiff vorn) von den Musikern umgeben, was nicht hinderte, sie in Gruppen aufzustellen und für besondere Effekte zu sorgen.
Nicolaus Weisbecks »Machet die Tore weit« war nicht zum Advent gedacht, sondern erklang während des Einzuges Johann Georg I. beim Mühlhausener Fürstentag im März 1620 – ein Anlaß, welcher der Befriedung dienen sollte, was dem Charakter der Musik entsprach, die ein öffnen nicht nur der Tore, sondern auch der Herzen nahelegte. Und Giovanni Valentinis »Iniquos odio habui« feiert einen Sieg der kaiserlichen Truppen nicht mit prahlerischem Pomp (aber doch Selbstbewußtsein).
Christoph Harant von Polschitz und Weseritz‘ »Qui confidunt in Domino« berichtete hingegen von den gefangenen Mitverschwörern des böhmischen Aufstandes und hielt frappierende Echoeffekte von Sopran (Veronika Winter) und Altus (Beat Duddeck) parat.
Im Spiel mit den Stimmen (außerdem Heidi Maria Taubert und Dorothea Wagner / Sopran, David Erler / Altus, Georg Poplutz und Nils Giebelhausen / Tenor sowie Dirk Schmidt und Ralf Grobe / Baß) war das Programm nicht nur abwechslungsreich, sondern zeigte die vielen Facetten der Musik, die in den Jahren zwischen ca. 1620 und 1650 entstanden waren. Vieles davon mußte aufgesucht, ausgesucht und aufgeklaubt werden – in Paul Schäffers »Venite exulternus« zum Beispiel hatte Leiter Arno Paduch sechs der acht Begleitstimmen ergänzt.
Doch nicht durch Durchdachtheit und Themenbezug beeindruckte das Konzert (obwohl sich dies öfter angesichts der Texte so ergab), sondern durch musikantische Ausgewogenheit und Qualität sowie durch die Gesangsolisten. Nicht nur bei Christoph Harant waren die sechs Solisten alle einzeln herauszuhören (!), so daß man jede der Gesangsstimmen verfolgen konnte. Für Tenor Georg Poplutz gab es gleich mehrfach Soloauftritte: nicht nur in Heinrich Schütz‘ »En novus elysiis« (SWV 49), er beschloß den Abend des Festkonzertes mit dem oben genannten Kriegs-Angst-Seufftzer Johann Hildebrandt und fügte der Feststimmung durchaus Beklommenheit hinzu. Sekundenlange Stille bewies, daß die Worte auch heute noch die Zuhörer erreichen.
14. Oktober 2018, Wolfram Quellmalz
Das Konzert wurde von Deutschlandradio Kultur aufgezeichnet und wird am 30. Oktober 20:03 Uhr gesendet.