Ivor Bolton und das Festspielorchester eröffneten die Dresdner Musikfestspiele
Zur Nachhaltigkeit der Intendanz Jan Voglers wird, ob man sie nun zukünftig bilanziert oder heute kurz innehält, ganz bestimmt eines zählen: das Dresdner Festspielorchester. Denn hier treffen sich nicht nur in jedem Mai und Juni Menschen, die mal eben gemeinsam historisch informiert musizieren. Das Orchester ist in den letzten Jahren weit über die Region und die Zeit der Festspiele hinaus bekanntgeworden, hat Anerkennung gefunden, nicht zuletzt durch Gastspiele und CD-Aufnahmen. Mit Robert Schumann, angefangen bei den Dresdner Werken, setzte und setzt das Orchester um Ivor Bolton einen Schwerpunkt.
Strenggenommen passen die alten Instrumente und der »Originalklang« natürlich nicht in den modernen und großen Konzertsaal des Kulturpalastes, doch hat man Erfahrungen gesammelt und setzt auf Werke, die sich hinsichtlich Klangfülle hier hören lassen können. So auch am Donnerstag im Eröffnungskonzert des aktuellen Jahrgangs. Mit der Ouvertüre zu Carl Maria von Webers »Euryanthe« gab es ein Dresdner Werk, das mit großer Bläserbesetzung und dramatischer Umwölkung durch pure Klangmagie begeistern konnte. Vor allem Violoncelli, Hörner und Posaunen spielten markerschütternd – wäre es nicht an der Zeit, »Euryanthe« einmal als »Festspieloper« im Opernhaus …?
Nach solch erfrischendem Beginn wandte sich das Programm einem weiteren Dresdner zu: René Pape. Allein den Kruzianer endlich wieder einmal hier zu erleben, war großartig – vor Jahren gab er seinen zweiten Liederabend überhaupt während der Musikfestspiele im Schauspielhaus. Weniger glücklich erwies sich die Werkauswahl: Schubert-Lieder in Orchesterbearbeitungen. Die Behauptung des Programmheftes, Franz Schuberts Meisterwerke hätten erst in Bearbeitungen durch Dritte Berühmtheit erfahren, ist dabei ebensowenig nachvollzieh- wie der genannte Bearbeiter Stuchasch Dyma faßbar – wer mag er sein? Das intime Lied in einen großen Saal zu verlagern, ist schon heikel. Zudem zeigt sich immer wieder, daß Lieder durch Bearbeitungen aufbläht werden, selbst wenn es sich um wirklich gekonnte Versuche handelt wie Daniel Behles Begleitung der »Winterreise« für Klaviertrio. Ob »Prometheus« (D 674) oder sechs Auszüge aus dem »Schwanengesang« (D 957) – das Orchester konnte zwar ungemein sublime Stimmungen schaffen, wurde jedoch oft so laut, daß der Sänger schlicht nicht mehr zu hören war. Auch verlagerte sich der Fokus insgesamt – wenn Prometheus sagt »Ich kenne nichts ärmeres unter der Sonn als euch, Götter«, war dem die Kraft genommen, der Impuls lag beim Orchester, aus der Ballade wurde eine Opernszene.
Treffend waren manche Stimmungen, wie das mystische Sehnen (»Am Meer«) oder der ruhevolle Beginn des »Doppelgängers«. Jedoch blieb die Überladung durch Holzbläserstimmen und da jeder Stimmungsumschwung auch in der Instrumentierung Berücksichtigung fand problematisch, da sie nichts anderes war als eine ständige und überflüssige Unterstreichung – als wäre der Zuhörer nicht in der Lage, den Sinn eines Liedes ohne solche Kommentare zu verstehen. Da wünschte sich wohl mancher die Lieder noch einmal mit Klavierbegleitung, René Pape bedankte sich für den herzlichen Applaus mit Schuberts Ode »An die Musik«.
Mit Schumann kehrte das Festspielorchester zu (s)einem Kernrepertoire zurück. Diesmal berief es den Frühling mit der 1. Sinfonie. Es war eine Freude, solch erfrischende Klänge zu vernehmen, die subtil genug blieben, manchen Eiseshauch oder Bedenklichkeit nicht zu verschweigen. Mit einem Larghetto voll Zartgefühl und einem emphatischen Schluß setzte Ivor Bolton ein Ausrufungszeichen unter diesen Konzertabend.
17. Mai 2019, Wolfram Quellmalz
Tip: Das Konzert wurde von arte aufgezeichnet und kann in der Mediathek ARTE Concert noch bis zum 15. Juni abgerufen werden.