Expression und Kontrapunkt

Apollon Musagète Quartett in der Dresdner Frauenkirche

Überraschend am gestrigen Sonnabend und in gewissem Sinne auch »expressiv« waren nicht nur die großzügig karierten Anzüge des Apollon Musagète Quartetts. Den optischen Eindruck unterstrichen die vier durch ein energiegeladenes, die Strukturen offenlegendes Spiel. Dabei begannen sie ihr Programm allerdings eher mit einem Ruhepunkt: Bach.

Der Contrapunctus 1, welcher auch »Die Kunst der Fuge« eröffnet, war eine dramaturgisch klug gewählte Einleitung, denn sein Puls spricht den Intellekt ebenso an, wie er eine konzentrierte Ruhe herbeiführt. Eine Freude war es, den Bezügen der vier Stimmen folgen zu können. Freilich hätten sie freier, schwebender sein können, während das Apollon Musagète Quartett wohl eher einen bannenden Raumklang im Sinn hatte. Ob dies der richtige Weg gewesen wäre, hätte eine größere Auswahl aus dem BWV 1080 zeigen können. So war der erste Teil überraschend früh vorbei – durfte man schon applaudieren?

Doch dann: Franz Schubert. Einmal nicht »Der Tod und das Mädchen«, »Rosamunde« oder der »Quartettsatz«. Es ist doch bedauerlich: während Mozart, Haydn, Mendelssohn und vor allem Beethoven von den Streichquartetten mit Gesamteinspielungen und -aufführungen bedacht werden, sucht man vergleichbares bei (für) Schubert vergeblich. Statt dessen wird sein Œuvre oft auf wenige Schlüsselwerke reduziert. Nun einmal nicht – wie schön! Vom Quartett mit kräftigem Bogenstrich bedacht, erblühte das wunderbare g-Moll-Werk in prächtigen Farben, glänzte und funkelte in den Ecksätzen, derweil für feine Nuancen dennoch Raum blieb. Obwohl gerade die Violinen (Paweł Zalejski und Bartosz Zachłod) etwas dominant waren, übertönten sie das sanft gezupfte Violoncello (Piotr Skweres) nicht. Das liedhafte, an Schuberts »An den Mond« (D 259) erinnernde Andantino erfuhr einen so zarten wie lebhaften Liebreiz. Beherzt, aber mit Leichtigkeit, stellte sich ein spürbarer Nachhall ein.

Nun hätte man von hier die Schubert’schen Gründe noch weiter erforschen oder etwas Moderneres entgegensetzen mögen. Das Apollon Musagète Quartett schlug indes den Bogen zum Romantiker Robert Schumann und dessen erstem Streichquartett. Auch Schumann war ein Lied- und Kammermusikkomponist, dabei sind seine Kompositionen oft von großer, kaum faßbarer Subtilität. Die vier Streicher fanden sie allerdings nicht, aber sie hatten wohl auch nicht danach gesucht. Vielmehr folgten sie einem extrem expressiven Ansatz (nur im einleitenden Andante nennt Schumann den Begriff espressivo, jedoch ohne ein betonendes »molto« oder ähnliches), was in der trockenen, klaren Akustik des Raumes (Unterkirche) teilweise schlicht laut (wenn nicht lärmig) wirkte. Mit Ausnahme der wirklich lyrischen Passagen, welche das Quartett so wiedergab, gingen damit viele Feinheiten verloren – wer hätte da geraten, daß dies Schumann sei? Vor allem Primarius Paweł Zalejski peitschte das Werk (schließlich sogar fußstampfend) jedoch immer wieder voran, seine Kollegen folgten ihm, was immerhin ein Gleichgewicht wahrte (Schumann hat auch der Viola (Piotr Szumieł) tragende Passagen zugeschrieben). Als Fußnote interessant war dabei immerhin die Kontrapunktik, die Schumann gerade im letzten Satz verankert hatte. Dennoch enttäuschte sein Werk an diesem Abend.

Als Zugabe konnte ein Tango von Osvaldo Fresedo nicht wirklich entschädigen. Kaum eineinhalb Stunden (mit Pause) dauerte das Konzert – der Eindruck von Halbherzigkeit blieb.

7. JUli 2019, Wolfram Quellmalz

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