Konzert des Collegiums 1704 am Neujahrstag in der Dresdner Annenkirche
Manchmal kommt das Beste eben nicht zum Schluß, sondern gleich am Anfang: wie wollte man ein neues Jahr auch beginnen, wenn nicht festlich, mit viel Licht und Jubel? Das Prager Collegium 1704 hatte dafür »Festa italiana« (italienische Festlichkeiten) ausgewählt, wohl wissend, daß die italienische Schule bestimmend für Europa war und sich nicht nur ihre Werke verbreitet haben. Ihr Stil wurde noch von Komponisten in anderen Ländern und Städten aufgegriffen, auch in Dresden oder Prag. Und wenn man die Weihnachtszeit nach dem Kalender (und nicht nach dem immer zeitigeren kommerziellen Beginn) betrachtet und in der Musik mehr als »Süßer die Glocken nie klingen« voraussetzt, waren sowohl eine Messe Alessandro Scarlattis zur Weihnacht wie Baldassare Galuppis Dixit Dominus passend gewählt.
Mit Giuseppe Torellis Sinfonia in D begann der Abend in der glanzvollen Manier der Concerti grossi, wie sie später auch Händel für festliche Anlässe aufnahm. Mit langsamen Sätzen leitet Torelli jeweils einen prunkvoll-virtuosen schnellen Satz ein, die Adagios sind teilweise kurz, als gelten sie nur einem Atemschöpfen oder Anlaufnehmen. In den anschließenden Allegro-Sätzen offerierten Václav Luks und sein Orchester ein musikalisches Leuchtfeuer der Trompeten und Oboen (2. Satz), einen frohgemuten Streicherkanon (4.) sowie einen rasanten Schluß, der in seiner Steigerung eher einem Rondeau à la Passacaglia als »nur« einem Allegro entsprach.
Mit Alessandro Scarlattis Messa per il Santissimo Natale betrat der Chor des Collegium Vocale 1704 den Altarraum und stellte wie schon oft gleichzeitig die Solisten. Die Messe besteht aus den bekannten Teilen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei, erzählt also keine Weihnachtshistorie. Vielmehr liegt der weihnachtliche Bezug in der Musik. So beginnt schon das Kyrie mit einer konzertanten Einleitung, hat vergleichsweise schnelle Tempi. Die jubelnden Solostimmen, vom glockenhellen Sopran bis zum kräftigen Baß, verschmolzen im Chor, welcher die Individualität der Stimmen mit großer Musikantität verband. Das melismatische Verweilen auf »Gloria« betonte die Feierlichkeit des Augenblicks, und in eine Verlangsamung kann Václav Luks ungeheure Spannung legen (»Qui tollis« im Gloria / Du nimmst hinweg die Sünde der Welt), während die Temporeduzierung im Credo (»Et homo factus est« / und ist Mensch geworden) für Beruhigung sorgte. Wie Chor und Orchester diese Grade dramaturgisch banden, war schlicht mitreißend!
Francesco Geminianis für London geschriebenes Concerto grosso »La Folia« nach Arcangelo Corellis Sonate führte dann noch einmal vor, wie brillant ein Streichorchester aufspielen kann, wofür Václav Luks erneut das Cembalo übernahm. Wie Geminiani Corellis Thema durch die Instrumente wirbeln, es zwischen Celli und Violinen springen und schließlich reihum tanzen ließ, ist schon genial und offenbart seinen großen Einfallsreichtum, der auch zu pastoralen Farben fand.
Baldassare Galuppi hat den Text des Dixit Dominus mehrere Male vertont. In g-Moll hat er dem Instrumentalpart klare Akzente eingeschrieben, die sich im Chor wiederfanden. Wie zuvor sorgte Luks‘ dramaturgisches Geschick dafür, die große Spannweite des Psalms kontrastreich zu deuten. Hinreißend waren die Stimmen des Chores, vor allem die Soli von Aneta Petrasová (Alt) sowie Tereza Maličkayová (Sopran) und Pavla Radostová (Echosopran). »Leuchtkraft« ist eben keine Frage der Lautstärke, sondern der Tragfähigkeit, und kann zutiefst berühren!
2. Januar 2020, Wolfram Quellmalz
Italienisch geht es im nächsten Konzert des Collegium 1704 weiter. Am 6. Februar steht Alessandro Stradellas Kantate »San Giovanni Battista« auf dem Programm (19:30 Uhr, Annenkirche).