Konzertreihe mit einer Uraufführung fortgesetzt
Die Reihe »Das Lied in Dresden« existiert seit vielen Jahren. Zunächst unter privater Leitung, fanden viele namhafte Lied- und Opernsänger den Weg nach Dresden. Seit einiger Zeit tritt die Hochschule für Musik als Veranstalter auf, verankert ist sie vor allem bei der Liedklasse von KS Olaf Bär, natürlich ist der Trägerwechsel mit einer teilweisen Neuausrichtung verbunden.
Am Sonntag gab es eine Kostprobe »Neuer Dresdner Lieder« bzw. »Die Dresdner Kunstausübung«, so der Titel. In Verantwortung war diesmal nicht die Lied-Gut-Klasse, sondern Olaf Katzer und AUDITIVVOKAL. Damit war klar, daß es nicht nur »modern«, sondern experimentell würde – Komponisten wir John Cage oder Christian Münch überschreiten Grenzen, nicht weil sie Grenzerfahrungen suchen, sondern weil sie sehr frei mit der Stimme umgehen und all ihre Klangfarben ausloten wollen. Der Text gerät dabei durchaus einmal zur Nebensache. Bei Christian Münchs Stück für »Frauenstimme und Trommler (fremd von dir)« kam es zur Interaktion von Sopranistin Dorothea Wagner und Schlagwerker Johannes Kilian. Auf Vokalisen und Koloraturen »antwortete« Kilian zunächst mit einzelnen Schlägen oder Trommelfeuern, dann zündete er ganze Kaskaden »gegen« die Stimme. Diese hatte dennoch das letzte Wort.
In Auszügen aus John Cages »Songbook« (der einzige Komponist des Abends ohne Dresden-Bezug) mußte sich die Sopranistin noch mehr verausgaben, auch körperlich, die Stimme zwischen Oper, Operette und Jazz spannen und dabei so flexibel bleiben, daß sie innerhalb kürzester Sequenzen alle möglichen Stimmtechniken aufbieten konnte – wie Olaf Katzer in seiner Moderation meinte: bei Cage bekommt sogar »knödelig singen« einen ästhetische Wert.
Als klassische Dresdner Bezüge erklangen Robert Schumann (»Kennst Du das Land« und »Familiengemälde«) sowie Carl Maria von Weber (»Meine Lieder, meine Sänge«), indes zeigten sich hier andere Grenzen: einerseits kam im Wechsel mit den modernen Liedern und Klangexperimenten die intime Atmosphäre eines Liederabends nicht auf, andererseits wurde offenbar, daß die Weite zwischen ein Lied singen und es angemessen gestalten groß sein kann, was gerade bei Dorothea Wagner auffiel.
Der wirklich große Gewinn für den Zuhörer lag also nicht in einer geschlossenen Form, sondern in einzelnen Beiträgen. Hier entwickelte sich eine hohe Konzentration an Stimmungen, Zwischenstimmungen, Textbezug und nicht zuletzt Humor.
Neben Dorothea Wagner hatte Bariton Cornelius Uhle einen großen Teil der Lieder übernommen, wozu »Der Engel mit der Eisenbahnermütze« (Uraufführung) von Friedrich Schenker zählte. Der 2013 verstorbene Komponist hatte darin (wie in drei weiteren Liedern) einen Text Thomas Rosenlöchers vertont. Daß der Tod im Krieg unausweichlich ist, bedeutungslos wird, die Unfaßbarkeit dieser Situation fassen Worte und Töne. Schenker gibt ihnen fallende, stagnierende Töne, aber ebenso die Beliebigkeit des Schnees (Klavier: Moritz Ernst), der unbeirrt fällt. Uhle und Ernst ließen die Fassungslosigkeit fühlbar werden. Im weiteren Verlauf folgte als weitere Urauführung Torsten Reitz‘ „Kinderlied“ (neue Fassung, Dorothea Wagner / Moritz Ernst).
Berührend gelang auch Friedrich Goldmanns »An sich« für Sopran und Bariton a cappella. In der Melodieführung mochte manches an die Zeit des 1636 entstandenen Textes von Paul Fleming erinnern, in der kunstvollen Rhythmik schreiten beide Sänger voran, gehen nach- oder miteinander, so daß sich nicht meditative Ruhe, sondern die tiefe Empfindung aus der Beweglichkeit, ähnlich einer Prozession, einstellte.
»Die Orange und Myrthen hier« von Robert Schumann hatten den Abend gerahmt, wofür Stefan Kunath (Altus) und Alexander Bischoff (Tenor) das Sängerensemble zum Quartett hatten wachsen lassen. Im Sinne der Reihe und der Trennschärfe der Genres (nicht der Etiketten wegen) sollte man aber überdenken, wie weit sie sich dehnen läßt oder das Format einen eigenen Schwerpunkt setzen sollte.
27. Januar 2020, Wolfram Quellmalz
Das Konzert wurde übrigens dank der Kooperation mit der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) mitgeschnitten. Weitere Informationen unter: http://www.auditivvokal.de/