Philharmonie lud zum Deutsch-Tschechischen Dialog
Der Raum der Herkuleskeule ist sicherlich kein perfekter Kammersaal, doch die hier aufkommende Studioatmosphäre kann gerade experimentelle Formate unterstützen. Am Montagabend wagten sich einige Mutige in das Experiment eines Deutsch-Tschechischen Dialoges. Musikalisch wurde er vom Prager Helix Trio gestaltet, welches sich schon durch seine Besetzung von einem herkömmlichen Klaviertrio unterscheidet: statt eines Cellos gehört ihm mit Ondřej Štochl ein Bratschist an, der zudem selbst Komponist ist und auch einmal ans Klavier wechseln kann. Mit seinen Partnern Tereza Horáková (Violine) und Egli Prifti (Klavier) spielte er zeitgenössische Stücke tschechischer Komponisten sowie von Albert Breier. Breier, dem das Tschechische sehr am Herzen liegt, nahm wie sein Brünner Kollege Peter Graham (eigentlich Jaroslav Šťastný-Pokorný) am Abend als Gesprächspartner und Rezitator teil.
Gedichte zu lesen ist immer eine Herausforderung. Vielleicht mehr noch als beim Lied, welches für den Vortrag gedacht ist, stellt sich nämlich die Frage, wie »veräußerlicht« es dargestellt werden darf. Natürlich kann mancher Sprecher, ein Schauspieler vielleicht, mehr gestalten als es die beiden Komponisten vermochten. Gerade die am Beginn vorgetragenen Verse Oskar Loerkes wirkten doch sehr schlicht im Ausdruck. Nach und nach allerdings (die Texte von Jan Skácel wurden erst tschechisch, dann deutsch vorgetragen) ergab dieser Stil eine sinnige Übereinstimmung mit dem oft rätselhaften Charakter der Musikstücke. Am tiefsten, wie eine Schwebung, gelang dies mit den zauberischen Versen Jaroslava Kutheilovás, einer bei uns kaum bekannten Dichterin, und den geheimnisvollen »Mikroludia für Viola und Klavier« von Ondřej Štochl, hier in einer (musikalisch) »verrückten« Fassung mit Violine und Klavier.
Die Trios und Duos waren sämtlich in den letzten vier Jahren entstanden. Meistens entziehen sie sich einer gewohnten Form von Melodie und Begleitung oder der gegenseitigen Durchdringung motivischen Materials. Oftmals war es ein Suchen in Akkorden, bezogen sich Reflexe aufeinander. Pavel Zemek-Novák läßt in seinem »Doteky milosrdenství« (Berührungen der Barmherzigkeit) für Violine, Viola und Klavier die drei Spieler zunächst nacheinander auftreten, bevor sie zu einem Trio verschmelzen, Peter Graham entwickelte im ersten Satz seines Trios ein Katz- und Mausspiel, wobei er Violine und Viola teilweise als ein Instrument auffaßte.
Vier der fünf jungen Stücke wurden wiederaufgeführt, mit Albert Breiers »Zweite Elegie für Viola und Klavier« von 2018 gab es eine Uraufführung. Sie begann mit Floskeln des Klavieres, einer Spieluhr ähnlich, auf welche die Viola zu antworten schien, nach und nach entwickelten sich melodische Bezüge und Ruhemomente. Die immer größere Verdichtung beider Stimmen endete in einer Entfernung: während sich die Viola in einer aufsteigenden Sequenz erhob, stellte ihr das Klavier einen Baßgrund entgegen.
Mit der Vermutung, daß eine tschechische Eigenart vielleicht darin bestehe, Eigenarten zu haben, hatte Albert Breier den Abend begonnen. Im Gespräch mit Peter Graham stellte sich heraus, daß es so einfach dann doch nicht ist. Auch gebe es gemeinsames wie unterschiedliches im Deutschen und Tschechischen, schon deshalb, weil beide Länder sich lange kennen und aufeinander beziehen, gegenseitige Einflüsse bestehen. Mitunter ist es gerade die gemeinsame Grundlage, welche eine nationale oder individuelle Ausprägung ermöglicht. Merke: Resultate, Stücke, bedürfen des Dialogs und der Suche.
10. März 2020, Wolfram Quellmalz