Mit Passion

Auf und Ab in Zeiten der Turbulenzen

Ich hatte noch nie viel übrig für die Sommerzeit, noch weniger für die lästige Zeitumstellung – gerade jene im März sorgt immer für gehöriges Durcheinander im Zeitgefühl von Mensch und Tier. Doch momentan ist unser Kalender noch ganz anders aus dem Lot, denn wichtige Bezugspunkte fehlen. Wissen Sie zum Beispiel, wann Ostern ist? Da das Fest am Vollmondzeitpunkt im Frühjahr »verankert« ist, verschiebt es sich von Jahr zu Jahr. Im allgemeinen ist das kein Problem, zumindest nicht für mich, denn das Jahr oder Kirchenjahr ist fein unterteilt und bietet viele Möglichkeiten zur Teilnahme oder zumindest zur Kenntnisnahme der Referenzpunkt (nein, der Zeitpunkt, an dem Kaufhallen und Supermärkte beginnen, mit Ostereiern oder Weihnachtsstollen die Gänge vollzustellen, ist KEINE Referenz!).

Normalerweise habe ich um diese Zeit schon viele Vespern und Konzerte mit Passionsbezug erlebt, so daß nicht nur mein innerer Kalender, sondern mein Denken und Fühlen auf Ostern (bzw. die Zeit davor) gerichtet sind. Wenn man an einem musikalisch (auch historisch) so reichen Ort lebt, kann man wählen, nicht nur zwischen den Passionen Johann Sebastian Bachs nach den vier Evangelisten oder seinem Osteroratorium – es gibt von Bachs Söhnen, von Johannes Eccard, Gottfried August Homilius, Johann Theile und anderen unzählige Beiträge, von Händel, Zelenka und weiteren abgesehen. Auf vieles müssen wir derzeit verzichten, schmerzlich vermissen wir gerade die Konzerte des Collegiums 1704!

Ersatz besteht glücklicherweise doch, denn das Collegium bietet viele CD-Aufnahmen (wie den »Messiah«, erschienen bei Accent).

Den Begriff der Passion hat Philippe Jaroussky etwas weiter gespannt und sieht ihn nicht allein religiös, sondern meint die Passion des Singens überhaupt. Auf »Passion Jaroussky« 3 CDs, Erato) vereinigt er nicht nur andächtige und hymnische, religiöse und weltliche Musik, sondern auch Kollegen wie Julia Lezhneva, Nuria Rial und Cecilia Bartoli, Ensemble wie das Venice Baroque Orchestra Boston Early Music Festival Orchestra und das Collegium 1704. Wenn Sie also daheim im Wohnzimmer »abheben« wollen – Philippe Jaroussky ist Ihre Startrampe!

Wer es besinnlicher, innerlicher mag, dem sei das moderne Antiquariat empfohlen. (Falls Sie keinen Antiquar in der Nähe haben oder ihn nicht erreichen können, finden Sie mehr über das Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher https://www.zvab.com/.) Dort gibt es bestimmt noch ein paar Exemplare des Earbooks »Matthäuspassion« (erschienen bei Edel). Der Bildband mit vier CDs vereinigt Gemälde zur Passionsgeschichte mit einer Aufnahme von Bachs Matthäuspassion BWV 244 mit Peter Schreier als Evangelisten sowie Theo Adam, dem Kreuzchor Dresden, dem Thomanerchor und dem Gewandhausorchester Leipzig (Leitung: Rudolf und Erhard Mauersberger). Außer der Matthäuspassion enthält das Earbook eine CD mit Kantaten zur Passions- und Osterzeit.

Nicht alle Veranstalter können Aufführungen oder Konzerte ohne Publikum bieten (Akademiekonzerte im online-Spielplan der Bayerischen Staatsoper: https://www.staatsoper.de/stream.html) oder eigene Aufzeichnungen. Neben den technischen Voraussetzungen muß der Medienpartner dies überhaupt einrichten können – Orchester und Theater sind selbst keine Internetmedien. Und die alternativen Formate »von zu Hause« und mit dem Smartphone ersetzen das echte Erlebnis kaum.

Die Dresdner Philharmonie geht einen anderen Weg und bietet zumindest für manche der abgesagten Konzerte den Pfad zu YouTube-Kanälen, welche die im Programm geplanten Stücke (teilweise mit anderen Interpreten) präsentieren, wie für den »Bach-Marathon« am 1. April:

https://www.dresdnerphilharmonie.de/konzerte/bach-marathon/871

Auch die Elbphilharmonie hat umgestellt und bietet einen Teil seiner bisherigen Konzertaufzeichnungen online:

https://www.elbphilharmonie.de/

31. März 2020, Wolfram Quellmalz

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